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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Ein Kaiserling
17.November 2010 - Kaiserliche Pilze
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Nach all den Jahren hab auch ich nun endlich den Pilz gefunden, der hier
auf Lesvos am beliebtesten ist, vielleicht, weil er auch am häufigsten
vorkommt: Der Pfeffermilchling (Lactarius piperatus), in griechischer
Sprache „péperites“ oder „pefrites“. Ich wusste schon, dass diese Sorte
unter Kiefern gedeiht und unter der dichten Nadeldecke am Grund
versteckt liegt. Manchmal sind diese Pilze sogar so tief im Boden, das
man sie ausgraben muss. Sieht man eine kleine Erhebung auf dem
Waldesgrund, so stehen die Chancen nicht schlecht, dass ein
Pfeffermilchling darunter steckt. Gestern, als wir den riesigen
Kiefernwald oberhalb von Anemotia durchstreiften, waren sie unübersehbar
überall, diese kleinen Erdhäufchen und darunter fanden wir die beliebten
Pilze, und was für Prachtexemplare (der Hut kann bis zu 30 cm breit
werden)! Ich kann jetzt auch verstehen, warum die Griechen sagen, dass
sie oft mehrere Kilogramm Pilze in die heimische Küche tragen, denn
manche Exemplare sind so schwer, dass vier von ihnen bereits das Kilo
vollmachen. Es ist faszinierend, zu sehen, mit welch einer Kraft dieser
forsche Pilz den Erdboden sprengt. Welch eine Hilfe im Garten wäre das,
einige von ihnen würden doch glatt das Umgraben erledigen.
Obwohl das Internet darauf hinweist, dass der weiße péperites kein
kulinarischer Hochgenuss ist, wird gerade dieser hier auf Lesvos sehr
gern gegessen. Es gibt jedoch noch andere Milchling-Sorten zu finden –
zwar nicht so häufig -, die besser schmecken. Zu unserer leckeren
Ausbeute zählten der „Lactarius sanguifluus“ (Weinroter Kiefernreizker)
und der orangerote „Lactarius deliciosus“ (Edelreizker oder Rotmilchling).
Letzterer sah ziemlich unappetitlich aus mit seiner durchgehen
rot-grünen Färbung, die sich jedoch in der Pfanne schnell veränderte,
mich begeisterte, ließ sie mich doch an Mandarinchen denken, tja und der
Geschmack war viel würziger als der seines milch-weiße Bruders. Experten
behaupten, dass der „Weinrote Kiefernreizker“ noch besser schmeckt.
Pilzliebhaber können sich aber auch nicht einig werden, welches denn nun
überhaupt der leckerste Pilz ist. Hier schwankt man zwischen dem „Boletus
edulis“ (Fichtensteinpilz) oder der „Amanita caesarea“ (Kaiserling).
Nun, den Steinpilz kennt man ja auch aus der Heimat, und dieser
Leckerbissen lässt sich leicht identifizieren. Vor einigen Jahren fanden
wir ihn auch in den Wäldern, oberhalb von Agiassos, aber seitdem haben
wir ihn nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich sind wir einfach zur falschen
Zeit auf die Suche gegangen.
Den
Kaiserling habe ich schon häufiger entdeckt, ihn aber nie gegessen.
Dieser orange-rote Pilz macht seinem Namen alle Ehre. Wahrscheinlich ist
Julius Caesar sein Namensgeber oder aber heißt er so, weil er wirklich
im Geschmack der „Kaiserliche“ unter den Amaniten ist? Die Römer gaben
ihm den Namen „Boletus“, und zu denen, die ihn über alles liebten,
gehörte der römische Kaiser Claudius. Da er der letzte männliche
Nachfahre in der Familie war, gelangte er nach der Ermordung seines
Neffen Caligula auf den Thron. Nun, Claudius war nicht nur den Pilzen
sehr zugetan, sondern auch den Frauen. Seine 4. Gemahlin war seine
Nichte Agrippina, die ihren 11-jährigen Sohn mit in die Ehe brachte:
Lucius Domitius Ahenobarbus, den späteren Nero. Claudius adoptierte den
Jungen zwar, um die Nachfolge zu regeln, aber irgendwie dauerte es
Agrippina zu lange, ihren Sohn endlich auf dem Kaiserstuhl zu sehen, und
so soll sie im Jahre 54 ihrem Ehemann seine Lieblingspilze, Kaiserlinge,
bereitet und den höchstgiftigen „Grünen Knollenblätterpilz“ (Amanita
phalloides) untergemischt haben. Tja, und so ging der Machtwechsel etwas
schneller vonstatten.
So
zurück in die Neuzeit: Auch Kaiserlinge fanden wir unter den
verschiedenen Milchlingssorten. Leicht sind sie in der Herbstlandschaft
zu sehen, mit ihren prächtigen roten Kappen, vergleichbar mit denen des
berüchtigten Fliegenpilzes (Amanita muscaria), jedoch ohne die weißen
Punkte. Derweil dieser berühmte Verwandte beim Verzehr
Vergiftungserscheinungen hervorrufen kann, so ist der Kaiserling einer
der leckersten Pilzsorten überhaupt. Erkennen kann man ihn an dem
zitronen- bis goldgelbem Stiel und den Lamellen, die jung hellgelb sind
und sich nach und nach orangegelb verfärben.
Mutig bin ich gerade nicht, was den Verzehr von mir unbekannte
Pilzsorten betrifft. Bei den Steinpilzen weiß ich, dass ich die Finger
von rot gefärbten Exemplaren lassen soll, und so war es für mich schon
ein Abenteuer, mich an die roten Kaiserlinge heranzutrauen. Heute war es
soweit: Wir waren eingeladen, und der Gastgeber bereitete sie gebraten
zu, verfeinert mit etwas Cognac, Sahne und Käse. Dieses orangefarbene
Pilzgericht war einfach nur köstlich und das farbliche Zusammenspiel mit
je einer Schüssel weißem Reis, grünem Mangold, Roter Bete und einem
Salat aus Fenchel und Orangen ließ uns begeistert an der Tafel Platz
nehmen.
Am
Ende dieser herrlichen Mahlzeit geschah es jedoch, dass sich ein Gast
unwohl fühlte... Tja, und obwohl wir blindes Vertrauen in die
Pilzkenntnis des Hausherrn hatten, schlich sich leichtes Unbehagen und
der Gedanke an eine Vergiftung in unsere Köpfe ein. Ich muss zugeben,
dass ich sogar etwas panisch, uns schon alle im Krankenhaus liegen sah,
und so wurden schnell die Symptome einer Pilzvergiftung im weltweiten
Netz nachgeschlagen: Entwarnung! Der zu Hilfe gerufene Arzt
diagnostizierte alsdann eine Kreislaufstörung aufgrund von zu niedrigem
Blutdruck...
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