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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Mytilini, die Hauptstadt von Lesvos
8.November 2010 - Man hat die
Wahl
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Ein
Vorteil auf einer Insel zu leben, ist eigentlich der, dass man weit weg
ist von der hektischen Welt, wo alle möglichen Sachen beschlossen
werden, vor allem, wenn diese Ruhe noch, wie in den letzten Tagen, von
einem dermaßen schönen Wetter gekrönt wird: Hohen Tagestemperaturen
gelang es, gemeinsam mit der ununterbrochen am Himmel stehenden Sonne,
die Feuchtigkeit der Nächte zu trocknen, mit dem Ergebnis, dass
mystische Nebelschwaden sich um die Berggipfel legten.
Nun
hat eine Anschlagswelle von Paket- und Briefbomben, adressiert an
diverse europäische Regierungssitze und Botschaften, die griechische
Metropole in Aufruhr gebracht. Während daraufhin in Athen sämtliche
Sendungen ins Ausland 48 Stunden lang festgehalten wurden, bearbeitete
sie die kleine Post in Molyvos unbekümmert weiter für die lange Reise.
Schau’n wir mal, wie weit sie denn dann in den nächsten Tagen kommt...
Eine große Anzahl der verdächtigen Päckchen wurden per Kurierdienste
versandt, die damit werben, dies innerhalb eines Tages zu erledigen.
Bestätigen kann ich das nicht, denn ich hatte die „Speedex“ damit
beauftragt, in dieser Zeitspanne meinen neuen Computer aus Athen zu
liefern. Tja, Fakt ist, dass dieser zunächst – versehentlich – in Patras
landete (was hat Patras mit Mytlini zu tun?). Als der Fehler entdeckt
wurde, wurde das Paket dort erst einmal einen Tag zwischengelagert,
bevor es den Rückweg nach Athen antrat. Wiederum hatte er nun in der
Metropole 24 Stunden Aufenthalt, um dann seine Reise mit einem Schiff
nach Lesvos anzutreten, welches am nächsten Morgen um 7 Uhr den Hafen
von Mytilini erreichte. Wenn Sie nun zu Recht annehmen, dass jetzt
jemand vom Kurierdienst schuldbewusst, angesichts der 3-tägigen
Verspätung, in sein Auto gesprungen wäre und mir die Sendung
höchstpersönlich vorbeigebracht hätte, liegen Sie falsch. Das Gegenteil
war der Fall: Ein Anruf meinerseits erreichte einen völlig
desinteressierten Mitarbeiter des Unternehmens, der mir ungerührt klar
machte, dass eine Zustellung erst am nächsten oder sogar erst am
übernächsten Tag möglich sei.
Dieses Desinteresse, der fehlende Service am Kunden, sind leider
kennzeichnend für griechische Unternehmen (nicht nur bei
verstaatlichten). Man hat all zu oft das Gefühl, in einem
kommunistischen Land zu leben, wo die Arbeitnehmer auch nicht allzu viel
Wert auf Kundenfreundlichkeit legen, sondern nur darauf, ihre
Arbeitsstunden so bequem wie möglich abzusitzen.
Dieses mangelnde Interesse, man kann es fast schon Apathie nennen,
schlug sich bei den gestrigen Wahlen nieder: Die Beteiligung lag bei
mageren 55% . Velvendos, ein Dorf im Nordwesten des griechischen
Festlands, brach jeglichen Rekord: 95,77% seiner Bewohner blieben der
Urne fern, zeigten damit ihren Protest gegen die Sparmaßnahmen und
Reformen des „Kallikrates-Plan“. Die Griechen sind politikmüde und haben
jegliche Hoffnung an eine Lösung für die Krise verloren. Sie scheinen zu
akzeptieren, dass sich Politiker und andere Machthaber die Taschen
voller Geld stopfen und sie dagegen schlecht bezahlte Arbeitstiere
bleiben. Sie glauben nicht mehr daran, dass irgendwer oder irgendwas sie
aus dem tiefen Tal ziehen kann.
Allerdings gab es einen erfreulichen Trend bei dem Wahlergebnis:
Kleinere Parteien, linksgerichtet oder grün, haben mehr Wählerstimmen
auf sich gezogen, was bedeutet, dass mehr und mehr Griechen begreifen,
dass sie durch verändertes Wahlverhalten, weg von den beiden großen
Parteien PASOK und Neo Dimokratia, vielleicht auch Veränderungen in
ihrem Land herbeiführen können.
Am
letzten Sonntag gab es in der Tat viel zu entscheiden. Man hatte nicht
nur die Wahl zwischen den Parteien, sondern auch der neue griechische „Kallikrates-Plan“
ging offiziell an den Start. So bildet die griechische Insel Agios
Efstrios (Ai Stratis genannt), als selbständige Landgemeinde, zusammen
mit den Inseln Lesvos und Limnos, nicht nur, wie bislang, allein die
Präfektur Lesvos, sondern es ist zusätzlich mit Samos, Ikaria und Chios
eine vielfach größere Verwaltungseinheit gebildet worden, für die es
nunmehr galt, einen Gouverneur zu wählen.
Und
weiter: Für Lesvos selbst war es der Startschuss dafür, dass alle
Gemeinden abgeschafft wurden, und die Insel jetzt nur noch eine Gemeinde
ist, die einen Bürgermeister sowie seinen Stellvertreter plus
Gemeinderatsmitgliedern per Wahl finden musste, und die Liste der
Kandidaten war ellenlang. Nicht, dass Sie jetzt denken, das war’s, nein,
nein, jede „alte“ Gemeinde musste auch noch einen vertrauenswürdigen
kompetenten Menschen finden, der sich für die Interessen ihrer Region
zukünftig in der Hauptstadt einsetzen wird, und das ehrenamtlich. Durch
dieses neue System, was im ganzen Land umgesetzt wurde, erhofft sich die
Regierung Griechenlands Kosten in Milliardenhöhe einzusparen.
Nun, wenn wir schon mal beim Thema „Einsparungen“ sind: Auf den Straßen
der Insel sieht man in der letzten Zeit immer mehr Inselbewohner auf
Eseln und Pferden reiten. Sollte die Krise etwa diese fast ausgestorbene
Art der Fortbewegung wiederbeleben? Auch längst erkaltete Kamine rauchen
wieder, da die Menschen befürchten, die gestiegenen Preise für Heizöl
nicht mehr tragen zu können. Ein weiteres Zeichen: Zeigen sich die
Griechen vom erlassenen Rauchverbot zwar unbeeindruckt, so haben doch
viele von ihnen aus wirtschaftlichen Gründen mit dem Rauchen aufgehört,
denn Tabakwaren sind, wie auch Benzin und Heizöl, die Produkte, die
derzeit fast monatlich im Preis angehoben werden.
Noch einmal möchte ich betonen, dass es ein schwerer Winter für uns hier
auf der Insel wird. Es ist die begonnene Olivenernte, die für kurze Zeit
die Menschen positiver stimmt, denn die Bäume biegen sich unter der Last
der Früchte, die jetzt reif und prall sind für die Presse, aber auch
hier zeichnet sich Veränderung ab: Haben Olivenhainbesitzer im letzten
Jahr noch Helfer beschäftigt, so sieht es jetzt so aus, dass sie nach
dem Motto handeln, das diesen Winter auf Lesvos herrscht: Selbst die
Ärmel hochkrempeln und den Gürtel enger schnallen..
Tja, und jetzt bleibt abzuwarten und zu sehen, wie die Zukunft
funktioniert, mit nur einem Bürgermeister für die ganze Insel. Spontan
kommt mir da die Frage in den Sinn, ob dieser Mann wohl – weit weg in
Mytilini – mitkriegen wird, dass die Sturmschäden des vergangenen
Winters am Eftalou-Boulevard nicht ausgebessert worden sind und wir
vielleicht hilflos zusehen müssen, wie die gesamte Straße demnächst im
Meer verschwindet. Naja, den Menschen, die in Eftalou leben, bleibt ja
immerhin noch der Weg über Sykaminia nach Molyvos...
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