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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Der zerstörte Weg in Eftalou
29. Juni 2010 - Hey, wo ist mein Strand?
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Hier auf Lesvos hat man eine Auswahl an Stränden: Kleine verborgene oder
große überfüllte, welche mit kleinen bunte Kieselsteinen oder andere mit
großem Gestein, einige Sandstrände und auch die, die mit Schichten von
Meeresalgen bedeckt sind. Es gibt Strände direkt an der Küstenstraße
eines Dorfes, für andere muss man weit fahren, um sie zu erreichen, und
da sind auch einige, die nur zu Fuß zu erreichen sind. Ich sag dazu nur:
„Wer die Wahl hat, hat die Qual.“
Auf
Lesvos gibt es auch so genannte „Beachrock-Küsten“, die zementartig
verfestigte Strandsedimente aufweisen (Strandfels, Strandsandstein) und
aussehen, wie ausgehöhlter Zement. Als ich solch ein Phänomen das erste
Mal sah, dachte ich, einige Griechen seien so verrückt, dass sie nicht
nur ihren Müll in die Natur werfen, sondern sogar unbrauchbar gewordenen
Zement an der Küste entsorgen. Am Strand von Melinda gleicht die lange
Zementlinie einem einstigen Pfad entlang des Meeres. Wenn ich dort bin,
schweifen meine Gedanken in die Vergangenheit, und ich sehe die Bewohner
von Plomari, wie sie dort spazieren gingen: Frauen in langen weißen
Kleidern, mit Spitze besetzt, leuchtende Schirmchen aufgespannt, um
ihren Teint vor der Sonne zu schützen, und die hohen Absätze ihres edlen
Schuhwerks klappern fröhlich auf dem Zement...
Tja, das ist aber nur meine Phantasie, denn so angetan waren die
Griechen in früheren Zeiten gar nicht von ihren Stränden. Das Meer war
da, um zu fischen, die Kinder am seichten Ufer spielen zu lassen und um
sich an heißen Sommertagen abzukühlen, was so aussah, dass die Frauen
voll bekleidet einige Schritte ins Wasser gingen, wo sie dann im Kreis
schwatzend beieinander standen, gerad so, als stünden sie in der Küche
ihrer Nachbarin. Schwimmen im Meer war nun mal damals kein Zeitvertreib,
und das obwohl die azurblaue Ägäis seit jeher hier auf der Insel so
verlockend nah ist. Mit Sicherheit spazierten die Menschen am Strand
entlang, aber mehr noch bevorzugten sie das Flanieren trockenen Fußes
auf dem Ufer-Boulevard oder dem Kai im Hafen.
Was
ich also als Umweltverschmutzung ansah, ist ein ganz natürliches
Vorkommen: Das Meer stellt selbst Zement her! Wie genau, ist noch
ungeklärt, aber wahrscheinlich verfestigen sich Sand, Steine, Muscheln,
etc. durch das Zusammenspiel von Regen, Salzwasser und Kalk, so dass
Steinschichten entstehen, die kilometerlang und mehrere Meter dick sein
können. Ich glaube, mich daran zu erinnern, dass am Strand von Dróta
eine komplette Mauer aus zementierten Kieseln an den Felsen
entlangführt.
Hier auf der Insel hat man eine Umfrage unter den Touristen gestartet,
was sie denn von dem „Beachrock“ halten. Das Ergebnis: Man mag diese
Formationen nicht, denn nass sind sie gefährlich rutschig. Unter den
Befragten gab es selbst einige, die Geld geben wollten, damit man diese
spiegelglatten Flächen beseitigt. Wirklich gemieden werden die Plätze
jedoch nicht, da es ja die Möglichkeit gibt, von den Stellen aus ins
Meer zu gelangen, die das Wasser nicht unsicher gemacht hat.
Ich
denke aber, dass diese „zementierten“ Strände auch ihren Nutzen haben,
nämlich um zu verhindern, dass der ein oder andere Strand so langsam im
Meer verschwindet. Nehmen wir z.B. Skala Eressoú im Süden, und auch hier
im Norden sehen wir die Strände vor unseren Augen schrumpfen. Früher war
der Strand von Molyvos (am Hotel „Olive-Press“) viel breiter, und die
meisten Menschen verbrachten ihre Strandtage dort. Nun zieht es sie eher
nach Eftalou oder an den Strand hinter dem Hotel „Delphinia“.
Die
fiesen heftigen Westwinde im Winter und Frühling (selbst letzte Woche
schlugen noch kräftige Wellen zu) führten dazu, dass Strände um Molyvos
halbiert oder in Eftalou teilweise sogar ganz verschwunden sind. Hey, wo
ist mein Strand?! Ja, auch mein so geliebter Strandabschnitt ist wie vom
Erd-,äh ich meine Meeresboden, verschluckt. Nun plätschert das Wasser an
der Befestigungsmauer der Straße, die seit den Wintermonaten (ich
berichtete darüber) an vielen Stellen ausgebrochen und nicht repariert
worden ist.
Ich
hatte die stille Hoffnung, dass ein neuer Sturm Sand und Kiesel
zurückbringen wird, aber inzwischen befürchte ich, dass das ein Traum
ist, der nicht in Erfüllung gehen wird: Der Meeresspiegel steigt langsam
aber stetig und frisst die Strände auf...
Was
muss das ein Fest gewesen sein, als man mit einem sinkenden
Meeresspiegel zu tun hatte und mehr und mehr Strand zum Vorschein kam...
und jetzt? Jetzt müssen wir alle zusammenrücken. Wenn ich mir vorstelle,
dass so etwas in Zandvoort an der Nordseeküste passiert: Es wäre eine
Katastrophe, denn der Strand dort hat tausendmal mehr Zulauf als hier.
Was Lesvos betrifft, kann ich nicht klagen, denn an den Stränden ist es
nach wie vor herrlich ruhig. Die Zahl der Touristen ist stark
zurückgegangen, viele Griechen können sich in diesem Jahr finanziell
keinen Inselurlaub leisten, hinzu kommt, dass Nachrichten über Streiks
und Aufruhr in Athen Besucher abschreckt.
Trotz kleinerer Strände, ist das Strandleben wieder wie gewohnt in
seinen sommerlichen Gang gekommen: Die Einheimischen lassen sich im
Schatten der Bäume nieder, während der Nachwuchs lautstark die Fluten
unsicher macht, die Touristen liegen glänzend in der prallen Sonne, um
sich ihre Urlaubsbräune zu holen, das Meer liegt unverändert dar und
umarmt seine Besucher mit seinem erfrischenden kristallklarem Nass. Wenn
Sie mich fragen, ich hab lieber einen nur noch halb so großen Strand
hier, von mir aus auch mit „Zement“, als eine undichte Ölquelle. Tja,
und letzteres hingegen ist eine Katastrophe, bei der Heulen, Jammern und
Klagen seitenweise angebracht wäre.
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