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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Wasserschildkröte
6.Juli 2010 - Tok, tok, tok, wer klopft denn da?
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Eines schönen Tages drang ein klägliches Miauen aus dem Gebüsch an meine
Ohren. Ich befürchtete gleich, dass ein kleines Kätzchen in Not geraten
sei, und tierlieb, wie ich nun mal bin, versuchte ich stundenlang mit
„pst, pst, pst“ und beruhigenden Worten, es hervorzulocken, jedoch im
Dickicht rührte sich rein gar nichts. Auch noch einige Zeit später,
konnte ich an nichts anderes denken, und nach noch mehr jämmerlichem
Wehklagen nahm ich mir ein Herz und schlug mich durch das eigentlich
undurchdringliche stachelige Gestrüpp, um die arme Kreatur zu retten. Es
gab kein Kätzchen dort, das einzige Tier, das ich vorfand, war eine
Schildkröte, die mich sehr misstrauisch anschaute. Nun, Männchen einer
Landschildkrötenarten locken ihre Weibchen mit einem piepsenden (fast
miauendem) Laut, kommt es zum Kampf mit einem Nebenbuhler, dann prallen
ihre Panzer gegeneinander, und es hallt ein „Tok, tok, tok“ durch die
Natur. Hat ein Männlein dann sein Ziel erreicht und besteigt das
Weibchen, hängt ihm die Zunge aus dem Mäulchen, und es beginnt zu
keuchen, als würde es den Lepétymnos erklimmen.
Ein
dumpfes „Ploink“ wird wohl der Laut gewesen sein, den Zeitzeugen
vernahmen, als dem griechischen Tragödiendichter Aischylos (535 – 456
v.Chr.) eine Schildkröte aufs Haupt knallte, die ein Greifvogel aus der
Höhe fallen ließ. Die Legende besagt, dass ihm prophezeit wurde, dass er
den Tod durch ein Haus finden wird, welches auf seinem Kopf
zusammenbricht. Um diesem zu entgehen, verbrachte Aischylos den Tag in
der freien Natur... Tja, aber das Orakel sollte recht behalten: Es war
das Haus einer Schildkröte, welches ihm das Leben nahm!
Der
griechische Gott Hermes, Bote der Götter und Schutzgott der Reisenden
und Kaufleute wird oftmals mit einer Schildkröte dargestellt, da er
schon als Kleinkind ein solches Tier getötet haben soll, um ihren Panzer
als Resonanzkörper zu nutzen und somit die Leier erfunden hat. Dieses
Instrument muss schon einen sehr betörenden Klang gehabt haben, denn
dieser verzauberte den Gott Apoll so sehr, dass er es im Austausch für
immerhin 50 Rinder nahm, die Hermes ihm gestohlen hatte und als er
aufflog, ihm als Gegenwert anbot.
Äsop (griech. Aisópos) war ein berühmter griechischer Dichter von Fabeln
und Gleichnissen. Er lebte um 600 v.Chr., und die Äsopischen Fabeln
haben spätere Schreiber, wie z.B. Jean de La Fontaine, inspiriert. „Die
Schildkröte und der Hase“ ist eine davon. Wenn man auf den Straßen von
Lesvos mal eine Schildkröte daherschlurfen sieht, sollte man nicht
meinen, dass diesem Tier je ein Hase in einem Wettlauf unterliegen
könnte, aber in dieser Fabel passiert gerad dies: Die Schildkröte
kriecht geradewegs, langsam aber unermüdlich der Zielfahne entgegen, das
arrogante Langohr jedoch, bringt seinen Hochmut dem Gegner so zum
Ausdruck, dass er zahllose Seitensprünge macht und kurz vor dem Ziel
denkt, er könne sich noch ein Nickerchen leisten, bis die lahme
Schildkröte eintrifft. Dass er dann vor Erschöpfung in einen Tiefschlaf
fällt, das hat er nicht einkalkuliert, und somit wurde er erst durch den
Jubel der Zuschauer für die siegende Schildkröte wieder wach...
So
wirklich herumgesprochen hat es sich noch nicht, dass Schildkröten zum
Bild der Fauna auf Lesvos gehören, und so überrascht es viele, wie
häufig sie hier vorkommen. Auf dem Land haben Sie die größte Chance, der
„Maurischen Landschildkröte“ zu begegnen. Nicht so oft wird die
Breitrandschildkröte („Testudo marginata“) ihren Weg kreuzen, die man eh
nur von der vorgenannten Artgenossin durch ihre charakteristischen
dunklen Dreiecksflecken auf dem horngelben Bauchpanzer unterscheiden
kann. Wie gesagt, sie ist seltener, und die Wissenschaftler vermuten
sogar, dass sie einst nach Lesvos importiert wurde und hier gar nicht
heimisch ist.
Schildkröten sind nicht nur langsam (obwohl sie doch von Zeit zu Zeit
einen bescheidenen Spurt hinlegen können), sie sind auch ziemlich faul:
Neben einer ausgedehnten Winterstarre, um die kalte Jahreszeit zu
überbrücken, entspannen sie sich auch im Sommer tagsüber mit einem
Schläfchen tief verborgen im schattigen Gebüsch. So ist der Frühling die
Zeit, in der sie zu entdecken sind.
Die
Begegnungen mit Wasserschildkröten sind hingegen einfacher: Auch wenn
der Sommer schon im vollen Gange ist, braucht man nur einen Teich oder
ein langsam fließendes Gewässer zu finden und die Ohren spitzen, dann
hört man vielleicht das leise Ploppen der Schildkröten. Ein Geräusch,
das entsteht, wenn sie sich schnell ins Wasser gleiten lassen. Wie ein
Teleskop fahren sie ihre Hälse aus, strecken ihre Köpfchen auf die
Wasseroberfläche und schauen neugierig, wer sie denn da in ihrer Ruhe
stört. Bei den meisten von ihnen, handelt es sich um die „Kaspische
Bachschildkröte“, denn die „Europäische Sumpfschildkröte“, die sich dort
ebenfalls tummelt, kann sich nicht so recht an Publikum gewöhnen und
reagiert scheu. Wasserschildkröten sind ebenso faul wie ihre
„Landsmänner“, denn sie lieben es stundenlang am Uferrand in der Sonne
zu baden.
Wasserschildkröten-Gucken hat sich auf Lesvos zu einer touristischen
Attraktion (selbst für Erwachsene) gemausert, und inzwischen sind die
Tierchen schon ganz verrückt nach all den mit Brot werfenden Zuschauern.
Wollen Sie dazu gehören? Nun, dann fahren Sie die Straße von Kalloni
Richtung Polichnitos, nah bei Achladeri kommen sie zu einer Brücke,
halten Sie und gehen Sie da drauf, schon kommen die Schildkröten von
allen Seiten angestürmt: „Wir wollen Brot! Wir wollen Brot!“ Klettert
der Mutigste von ihnen sogar aus dem Wasser, so machen es andere ihm
nach, klettern übereinander her, nur damit man ja der Erste ist, der die
Leckerei erhascht.
Auch der Teich längst des Weges von Skoutáros nach Vatóussa, kurz vor
Skalochóri, beherbergt solch neugierige um Brot bettelnde
Wasserschildkröten, die jedoch Konkurrenz haben: Katzen, die aus
irgendeinem Grund seit geraumer Zeit fast ein jedes Jahr ihr Sommercamp
rund um den See aufschlagen. Mögen die Samtpfoten vielleicht
Schildkrötensuppe?
Wenn Sie von Lámbou Mili aus über die neu asphaltierte Straße Richtung
Agiássos fahren, kommen Sie auch zu einer Brücke, die über einen Fluss
führt. Im strömenden Wasser schwimmen nicht nur Schildkröten, sondern
auch forellenfarbene Fische, in einer Größe, dass es auch tatsächlich
Forellen sein könnten. Ein jedes Mal, wenn ich dorthin komme, läuft mir
das Wasser im Munde zusammen, auch wenn die Griechen, die ich frage,
behaupten, dass man sie nicht essen könne, aber das sagen sie ja immer,
wenn sie etwas nicht kennen. Egal, so oder so, waren wir noch nicht
mutig genug, uns ins Wasser zu begeben, um einen solchen Fisch zu fangen
und es dann auszuprobieren. Schildkrötensuppe? Nein, niemals, da möchte
ich noch nicht einmal dran denken, geschweige denn sie essen, aber so
ein nettes Forellchen in Folie vom Grill? Na, dafür möchte ich doch auch
eine Leier oder so erfinden können, damit ich nur ein einziges auf
meinem Teller finde...
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