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BOULEVARD NEWS AUS LESVOS

 

Kiefern

Kiefern

 

13.Juli 2010 - Da, wo Kiefern noch ein Gesicht haben

Aus dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski 

 

Es ist schwierig zu sagen, welche Bäume in der Überzahl sind auf Lesvos: Oliven oder Kiefern. Den Ertrag, den der Olivenbaum abliefert, ist offensichtlich für jedermann, aber was die Kiefer für einen Nutzen hat, außer an heißen Sommertagen kühlen Schatten zu spenden, ist eine alte Geschichte, die nicht jeder kennt.

 

Die Früchte der Kiefern sind die Zapfen, in denen Samen versteckt heranwächst. Dessen weißliche Kerne sind essbar, jedoch meist viel zu klein für den Verzehr, mit Ausnahme derer der Pinie (auch Stein-, Mittelmeer-, Regenschirm- oder Schirmkiefer genannt). Da lohnt es sich, Samen zu sammeln und zu schälen, um in den Genuss der leckeren Pinienkerne zu kommen.

 

Echt ein Jammer, dass Lesvos nicht voll ist von diesen gesunden Nüsschen tragenden Bäumen, denn dann hätten die Pinienkerne bestimmt auch ihren Platz in der Lesvos-Küche gefunden. Lesvos jedoch ist reich an Aleppo-Kiefern (Pinus halpensis), von denen die Wissenschaftler behaupten, es handele sich dabei um eine Unterart oder gar um eine ganz andere Kiefer, nämlich die „Kalabrische Kiefer“(Pinus brutia). Dieser Nadelbaum ist es, der das Herz von Lesvos, rund um den Olympos, grün färbt. Im Westen der Insel stößt man noch auf eine andere Kíefernart, und zwar die Schwarzkiefer (Pinus nigra).

 

Die Nadelbäume hier auf der Insel liefern Holz, obwohl anzumerken ist, dass es kein Hartholz ist. Gefällt wird es – im Gegensatz zum Amazonasgebiet – mit Augenmaß und mit gesundem Menschenverstand. Es ist offensichtlich, dass die Inselbewohner erkannt haben, welchen Wert der Tannenwald für die Umwelt darstellt. Darüber hinaus sind die Kiefern ein Teil der Inselgeschichte. Während der türkischen Besatzungszeit war der Ertrag von Holz und Harz aus den Wäldern von hohem Wert. Ein wertvolles Nebenprodukt war Harz, ein ideales Material, um Schiffe abzudichten.

 

Bis 1923 der große türkisch-griechische Bevölkerungsaustausch stattfand, waren Nomaden in den Wälder rund um Agiasos sesshaft. Man nannte sie Giourouks. Sie wohnten in Zelten und lebten vom Verkauf von Waldprodukten, wie Brennholz.

In den 20er Jahren verpachtete man dann diese Wälder an Unternehmer, die interessiert daran waren, das Harz der Bäume zu ernten und dafür Einheimische engagierten, die froh waren, in die Wälder ziehen zu können, denn die Armut war groß in jenen Tagen. Noch heute können Sie hier und da ein Eimerchen entdecken, dass an einem Kiefernstamm befestigt ist, aber die Zeit des florierenden Harzhandels auf Lesvos ist vorbei, er hatte seine Blüte in den 20er Jahren und stoppte urplötzlich Mitte der 60er. Nein, es lag nicht daran, dass es kein Harz mehr gab, Grund dafür war, dass keine Arbeiter für die Ernte mehr zu finden waren. Die Menschen hatten das arme aber harte Leben auf dem Land satt und schwärmten aus in die Großstädte auf dem Festland oder in andere Kontinente, wie Australien, die Vereinigten Staaten, Südafrika, um dort eine bessere Zukunft zu haben.

 

Gehen wir mal so ein halbes Jahrhundert zurück und schauen uns mal den Alltag in einem Bergdorf, wie z.B. Ambelikó, an: Von April bis Oktober, an 6-7 Tagen in der Woche, zogen eine Vielzahl der Bewohner in die Wälder, um dort das Harz der Bäume aufzufangen. Und obwohl sie von Brackwasser und häufig verdorbenen Nahrungsmitteln lebten, wussten sie, sich und ihre Familien durchzubringen. Während der Woche blieben sie im Wald, hausten dort in winzigen Hütten, mit niedrigen Wänden aus Holz oder Stein, einem Dach aus Zweigen, gestapeltes Holz diente als Schlafstätte, und ein Stück Stoff ersetzte die Tür.

 

So wie heute das Fällen der Bäume Regeln unterliegt, ging man auch seinerzeit mit Umsicht an die Harzernte. Es bedurfte Kenntnis und besonderem Werkzeug. Nicht ein einfaches Beil wurde geschwungen, sondern man nutzte eine Dexel (alte Schreibweise Dechsel), ein Werkzeug, bei dem, anders wie bei Axt oder Beil, das Blatt quer zum Stiel, wie bei der Hacke steht. Bei einem gut ausgeführten Schlag, lagen die Adern eines Baumes, durch die das Harz lief, offen dar. Die Einkerbung musste eine bestimmte Größe und Tiefe haben, da ansonsten der Baum geschädigt war. Und wehe, wenn ein Arbeiter einen falschen, zu tiefen Schlag ausführte, dann war eine Geldstrafe fällig. Die Einkerbung in der Rinde wurde „Gesicht“ genannt, und nach dem 1. Schnitt gab es zwei weitere, um neue Adern für das Absammeln des Harzes freizulegen.

 

Liegen heute die Bergdörfer wegen der Emigration verlassen dar, waren sie auch damals meist menschenleer, denn die Bewohner waren aufgrund der Arbeit nicht oft zu Hause, sammelten sie kein Harz, ging es im Winter in die Olivenernte.

 

Die griechische Filmemacherin Irini Stathi* hat einen Dokumentarfilm über eine Gruppe von alten Dorfbewohnern aus Ambelikó gemacht. „Das Gesicht der Kiefern“ ist ein wertvolles Dokument über einen Lebensstil, der in Vergessenheit zu geraten droht. Alte Menschen erzählen ihre Geschichten aus dieser Zeit: Über die Arbeit, das Harz, darüber, wie die Wälder unter den Arbeitern aufgeteilt wurde. Eine Frau erzählt, wie ihr die Dexel von einem Aufseher weggenommen wurde, weil sie unsachgemäß in die Rinde schlug, und sie ihn dann um die Auferlegung einer Geldstrafe anflehte, damit sie ihr Werkzeug behalten konnte. Andere Zeitzeugen erzählen von den Partisanen, die die Wälder unsicher machten, erinnern sich an die Angst, die sie vor ihnen hatten, bevor sie erkannten, dass die größere Gefahr von den Soldaten drohte. In einem aber sind die Befragten sich einig: Trotz der harten Zeit damals, waren sie irgendwie glücklicher als heute, in den Tagen, wo, obwohl die große Armut nicht mehr herrscht, ein jeder trotzdem jammert. So erzählt ein Großmütterchen, wie die Berge damals summten von den Klängen der Musik, denn wenn die Arbeiter morgens in die Wälder zogen, hatten sie Lieder auf den Lippen, und beendeten sie ihr Tagwerk, sangen sie wieder. Ein alter Mann nickt bestätigend und fügt hinzu: „ Und jetzt singen selbst die Vögel nicht mehr“...

 

Das gesammelte Harz wurde alsdann per Esel nach Megalo Limni transportiert, später dann nach Achladerí und selbst nach Panagioúda, nah der Hauptstadt Mytilini, um mit Booten zu den verschiedenen Fabriken verschifft zu werden. An manch einem Platz auf der Insel sind noch die stillen Zeugen dieses Lebens zu finden: Holzhütten, Harzlagertanks und sogar noch ein altes verfallenes Kafenion, mitten im Wald.

 

Das bekannteste griechische Harzprodukt ist natürlich der Retsina, ein weißer trockener Tafelwein, versetzt mit Harz. Vor tausenden von Jahren schon wurde Wein in Schläuchen aus Ziegenfell oder Amphoren aufbewahrt, die mit dem Harz der Aleppo-Kiefer abgedichtet waren. Heute wird dem Retsina während der Gärung Kiefernharz in kleinen Stückchen zugegeben. Nun, da stets bessere und mehr und mehr Weine auf den griechischen Markt drängen, scheint dieses traditionelle Getränk auszusterben, rümpfen doch inzwischen die Menschen meist die Nase vor diesem würzigen Weißwein. Zu unrecht, wie ich finde: Die Tage der singenden Wälder in der Zeit, als die Kiefern noch ein Gesicht hatten, kehren wahrscheinlich niemals mehr zurück, aber ein leckeres kühles Gläschen Retsina ist, wie der Feta, ein Erzeugnis Griechenlands, dass nicht wegzudenken ist, aus dem Leben hier.

 

 

*Irini Stathi schrieb einige Bücher und Publikationen über die griechischen Filme, war Redakteurin einer ansehnlichen Liste von Filmproduktionen und arbeitete rund 10 Jahre für den bedeutendsten griechischen Regisseur, Theo Angelopoulos. Derzeit arbeitet sie als Assistenz-Professorin für die Ägäis-Universität, am Institut für Kultur und Kommunikation.