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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Die Burg von Mytilini
10.März 2010 - Die Erde bebt
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Dass die Wirtschaft Griechenlands in ihren Grundfesten erschüttert ist,
sind keine News mehr. Nun reiht sich auch noch ein leichtes Beben der
Erde in die jüngsten Erschütterungen auf der Welt ein: Haiti, Chile,
Montag im Osten der Türkei und ein kleines Erdbeben (Richterskala 4,2)
bei Patras, Dienstag auf den nördlichen Sporaden (Richterskala 4,3).
Kleine Erdstöße sind keine Schlagzeile wert in Griechenland. Seit ich
hier lebe habe ich auch erst 2 mal gespürt, dass die Erde bebt, und das
war überhaupt kein Vergleich, zu den katastrophalen Ereignissen in
Chile, denn es war halt nur so, dass ich erwachte, weil es so war, als
würde jemand kurz an meinem Bett rütteln.
Hier auf der Insel bietet man Ihnen die Möglichkeit, einmal zu erleben,
wie sich so ein schweres Erdbeben anfühlt: In dem Museum, das zum
Versteinerten Wald in Sigri gehört, ist ein Klassenzimmer eingerichtet,
in dem eine solche Naturgewalt simuliert wird. Ideal, um auch
Schulkindern das korrekte Verhalten in dieser Notsituation zu lehren. So
wird ihnen beigebracht, dass sie sofort unter ihre Schulbänke kriechen
und auf keinen Fall ihrem 1. Gefühl, nach draußen zu laufen, folgen
sollen. Ratgeber im Internet pochen darauf, dass man innerhalb eines
Gebäudes bleiben soll. Kriechen Sie unter einen Tisch, meiden Sie
Fenster, Türen und Außenwände, wenn Sie im Bett sind, ziehen Sie sich
zum Schutz Kissen und Decken über den Kopf und verweilen dort. Ich frag
mich zwar jetzt gerade, warum man nicht unter die Schlafstätte kriechen
soll, freu mich aber, dass mein Instinkt, mich bei den erlebten Erdbeben
hat richtig handeln lassen. Ich erwachte, sagte zu mir selbst, dass
alles gut sei, drehte mich um und schlief weiter. Also, beim nächsten
Mal noch das Kissen auf den Kopf und alles richtig gemacht? So einfach
ist es jetzt nicht mehr. Die schrecklichen TV-Bilder aus den Gebieten
der jüngsten Erdbeben, haben sich auf meine Netzhaut gebrannt, und ich
gehe davon aus, dass ich der nächsten Erschütterung, die ich spüren
werde, nicht mehr so gelassen begegnen werde.
Zukünftig liegen mindestens 2 Kissen in meinem Bett, denn auch Lesvos
ist ein Erdbeben-Gefahrengebiet, da es in dem Gebiet liegt, wo die
Hellenische Platte (auch Ägäische Platte) die Afrikanische Platte
berührt. Oberhalb der Insel verläuft die Edremit-Skyros-Bruchlinie,
südlich die Bruchlinie Lesvos-Psara und auch die Insel selbst ist von
Linien durchzogen. Also, so ruhig ist die Erde hier unter unseren Füßen
mal gar nicht.
Auch die Geschichte von Lesvos gibt Kunde von zerstörerischen Erdbeben,
die ganze Städte und Dörfer in Schutt und Asche gelegt haben, so wie das
Städtchen Pyrrha, das im Jahre 231 v.Chr. dieser Naturgewalt zum Opfer
gefallen und im Golf von Kaloni versunken sein soll. Tja, war es
seinerzeit nicht eine feindliche Kriegsmacht, die das Land zerstörte, so
war es die Erde selbst, die ganze Arbeit leistete.
1984 war das letzte Mal, dass die Erde bedrohlich auf Lesvos bebte,
jedoch ohne nennenswerte Schäden anzurichten. Das letzte wirklich
zerstörerische Erdbeben war das im Jahr 1867, welches nicht nur auf
Lesvos tausende von Menschen sterben ließ und enorme Schäden anrichtete,
sondern auch verheerendes Unglück über Smyrna (heute Izmir),
Konstantinopel (heute Istanbul) und Gallipoli brachte. Es war bereits
das zweite Mal, dass Mytilini und Smyrna von derselbe Katastrophe
heimgesucht wurden, denn schon 151 n.Chr. wurden beide Städte
vollständig durch ein einziges Erdbeben zerstört.
Ein
Artikel der „Malta Times“ aus dem Jahre 1867 besagt, dass der erste 30
Sekunden dauernde Erdstoß am Abend des 7. März zu spüren war,
kurzfristig gefolgt von einer schwereren Erschütterung, die in ihrer
Heftigkeit von einem Beben am nächsten Tag übertroffen wurde. Die
Einwohner flüchteten in die Berge oder in die Häfen, um sich auf
Schiffen in Sicherheit zu bringen. Offensichtlich befürchtete man in
dieser Zeit noch nicht, dass einem Erdbeben ein Tsunami folgen könnte.
Im
Zusammenhang mit dem Zeitungsbericht, wurde auch ein Brief vom 9. März
veröffentlicht, geschrieben von einem Augenzeuge der Katastrophe in
Mytilini:
Er
beschreibt zunächst, dass das Frühjahr in der Luft lag, wie unangenehm
warm das Wetter durch einen Südwind vor dem Beben war und dass er am
8.3.1867, um 6 Uhr morgens, auf dem Weg ins Büro des „Österreichischen
Lloyds“ war. Tja, und da spürte er die erste Stoßwelle, 12 – 19 Sekunden
andauernd, unmittelbar gefolgt von einer zweiten, wesentlich schwereren
Erschütterung. Als er zum Hafen schaute, sah es aus, als habe es eine
Unterwasser-Explosion gegeben, das Wasser drängte schäumend nach oben.
„Ich sah all die umliegenden Gebäude wie betrunkene Männer tanzen und
dann einstürzen, so wie auch die Piere, errichtet aus kräftigen
Felsblöcken, wie Kartenhäuser in sich zusammenfielen. „Das Büro des
„Österreichischen Lloyds“, die Zollgebäude, der Leuchtturm und die große
Olivenmühle, alles stürzte ein!“ „In den Straßen sackten die Häuser in
sich zusammen und begruben Menschen unter sich. Das schöne alte Kastell,
die Kathedrale, der Gouverneurspalast, die Gefängnisse, Moscheen, all
die konsularischen Wohnungen, ich glaube alle sind schwer beschädigt und
zum größten Teil nur noch Trümmerhaufen.“ „Der untere Teil der Stadt hat
wohl am meisten gelitten. Die Erde öffnete sich im wahrsten Sinne des
Wortes, verschlang eine Reihe von Gebäuden und formte eine Wasserstraße,
die von der Küste in die Mitte der Stadt führte, so dass der am
Mittwochnachmittag meistbesuchte Teil von Mytilini mit Wasser überflutet
wurde, dass Berge von Schlamm mit sich führte. Kurz gesagt, über die
Hälfte unserer wunderschönen Stadt, der herrlichsten und fröhlichsten
Stadt in der Levante, ist nicht mehr, als eine Wüste voll Ruinen.“
Gestern war der grau bewölkte Himmel hell orange gefärbt, und das
Tageslicht sah dadurch recht bedrohlich aus. Nichts Böses ahnend hing
ich meine weiße Wäsche draußen auf die Leine, was ich jedoch wenig
später bereute: Wie so oft im Frühling wurde der griechische Luftraum
mal wieder mit einer roten Sandwelle aus der Sahara überflutet, die
schlammig heruntertropfte auf Wege, Fenster, Autos, etc. und alles mit
einer orangefarbenen Staubschicht überzog, bedauerlicherweise auch meine
weißgewaschene Wäsche. Viele Schiffe konnten wegen schlechter Sicht
nicht aus dem Hafen auslaufen, Flüge verspäteten sich, selbst die 3 km
lange Brücke zwischen dem westlichen Peloponnes und West-Griechenland
wurde zeitweise gesperrt, und meine Weißwäsche kam erneut in die
Waschmaschine. Ja, gut, nicht wirklich eine Katastrophe, aber ich
gestehe, dass mich mein Ärger trotzdem einige Kraftausdrücke ausstoßen
ließ...
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