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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Ein Porträt von Theophilos in Karini
11.Oktober 2010 - Send me a postcard, darling
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Als
ich noch ein Kind war, es noch kein TV gab und ich auch noch zu klein
war, um die Zeitung zu lesen, waren meine ersten Bilder, die mich in die
ferne exotische Welt führten, Ansichtskarten. Wer erinnert sich nicht,
an die Abbildungen: Die spanische Flamencotänzerin mit leuchtend-bunten
Röcken aus Stoff (ich meine echtem Stoff!), das Eselchen mit Strohhut
auf dem Kopf, dem Bergpanorama hinter azurblauem See, das Männlein aus
Lappland in seiner traditionellen Tracht oder auch die tanzenden Frauen
in ihrer griechischen Kleidung, etc.
In
jenen Tagen war es so, dass der Postbote unseren Briefkasten nicht
selten mit Grüßen von Freunden und Familie aus ihren Urlauben in aller
Herrenländer füllte... Heutzutage bleibt der Briefkasten beängstigend
leer von Urlaubspost, und nur zum Geburtstag und zu Weihnachten trudelt
die ein oder andere Glückwunschkarte ein. Tja, auch ich habe früher
ellenlange Namenslisten von den Personen erstellt, denen ich unbedingt
eine Karte aus dem Urlaub schicken wollte, und war dann mindestens einen
ganzen Nachmittag mit Schreiben beschäftigt, und heutzutage? Na, da
greift man zum Telefon, schreibt ne SMS oder eine E-Mail um den
Daheimgebliebenen zu berichten, dass alles gut ist an seinem erreichten
Feriendomizil.
Alte Ansichtskarten sind inzwischen Raritäten zu Sammlerobjekten
geworden, und manche davon bieten einen schillernden Rückblick in die
Geschichte. Alte Relikte von Lesvos und Griechenland kann man
mittlerweile im Internet (z.B. bei Ebay, Anm.der Überetzerin) finden,
wie z.B. interessante schwarz-weiß Aufnahmen von Mytilini und selbst
welche von Agiassos.
Theophilos Chatzimichail (bekannt unter dem Namen Theofilos) war ein
griechischer Maler, der um 1870 in Varia (bei Mytilini) geboren wurde
und 1934 starb. Obwohl er nicht sein ganzes Leben Lesvos verbrachte,
sagt man doch, dass er „Der Maler von Lesvos“ sei. Theofilos soll, neben
seiner künstlerischen Arbeit, als Portier für das griechische Konsulat
in Smyrna und als Hirte in Pilion tätig gewesen sein. Im thessalischen
Volos verdiente er sein Geld, indem er Häuser, Geschäfte und Fassaden
mit Wandmalereien schmückte. Nach ungefähr 30 Jahren in der Fremde kam
er wieder zurück nach Lesvos und übte auch hier die Wandmalerei aus, bis
er so ca. 5 Jahre später starb.
Der
exzentrische Theophilos war für die Menschen seinerzeit schon ein
ziemlich „seltsamer Vogel“ und daher auch Zielscheibe für Hänseleien. Er
war verrückt nach den Geschichten über die griechischen Helden und die
Kriege, in denen sie zogen. Zum Gespött seiner Zeitgenossen liebte er es
in der kurzberockten griechischen Nationaltracht herumzulaufen, sein
Lieblingskostüm zu Karneval war das von Alexander des Großen, neben den
Verkleidungen als mazedonischer Soldat oder als Held des griechischen
Unabhängigkeitskrieges zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Geschickt stellte
er alle Kostüme selbst her.
Theophilos nahm alle Arbeiten an, die er kriegen konnte. Neben naiven
Gemälden, fertigte er so Bühnenbilder für das Theater an, und war auch
stets bereit, nur für eine Mahlzeit, mal die Wand eines Kafenions zu
beleben. Noch heute sind Reste seiner Werke auf Lesvos und Pilion zu
finden. Die bunteste Geschichte aus seinem Leben, die über ihn berichtet
wird, ist die, dass er für eine Zeit in Karini (nah bei Agiassos) in
einem hohlen Baum lebte.
Viel von seiner Kunst ist vernichtet oder verschwunden, und so ist das,
was die Zeit überdauert hat, inzwischen ein Vermögen wert. Auf Lesvos
erwartet Sie das „Theophilos-Museum“ in Varia, nah bei Mytilini, und
diesen Monat gibt es nun eine Ausstellung seiner Werke im größten
privaten Museum Griechenlands, dem „Benaki-Museum“ in Athen, die zur
Diskussion darüber anregen wird, ob Theophilos wirklich der chaotische,
eigensinnige Künstler war, wie berichtet wird, oder ob sein Charakter
vielmehr so war, wie seine Kunst: einfach und naiv.
In
der Zeit, zu der Theophilos lebte, waren Ansichtskarten bereits in Mode.
Auf
Fotografien und gemalten Postkarten wurden die Motive dargestellt, die
auch er in naivem Stil malte: Menschen in traditioneller Tracht,
ländliche Szenen mit Hirten oder Bauersleuten, Landschaften mit Dörfern
im Hintergrund.
Auch Maria Moschoe, eine Kunsthistorikerin aus Athen, wirft in einem
Artikel, der am 1. Oktober 2010 in der „AthensPlus“ erschien, die Frage
auf, ob Theophilos naiv war oder gar klug genug, mit seinen Bildern den
Zeitgeist der Menschen zu treffen und darzustellen, was sie sehen
wollten, eben die populären Motive, wie griechische Helden, Handwerker,
Straßenhändler, etc.
Und
nun zu der Frage, was heute die beliebten Motive auf Ansichtskarten aus
Griechenland sind. Neben wunderschön fotografierten Landschaften und
Dörfern, geht der Trend zu Porträts von ausdrucksstarken Gesichtern von
alten Menschen, Berufsbildern, die bald ausgestorben sind, und – wieder
– Personen in traditioneller Tracht, die man heute gar nicht mehr trägt.
Tja, ich frage mich, was Theophilos wohl malen würde, hätte er ein
Jahrhundert später gelebt? Vielleicht die Autos, die auf den Wegen die
Landschaft durchkreuzen, oder hätte er als Motiv doch die Inselregionen
gewählt, in denen die Zeit stehen geblieben ist? Würden ihn die
Touristen reizen, die in sommerlich leichter Kleidung durch die Gassen
von Molyvos und Petra schlendern, oder mehr die albanischen Arbeiter auf
den Baustellen, bestäubt mit weißem Zement? Würde er es wagen,
halbnackte Frauen abzubilden oder sich doch für die alten Männer
entscheiden, die, bei einem Tässchen Kaffee den Morgen im Kafenion
verbringen?
Stelios Kouniaris, Hüter der Burg von Molyvos, der heutige Theophilos
der Insel, lässt sich nicht von der Nacktheit oder Autos aus dem Konzept
bringen.
Wenn man seine Bilder betrachtet, muss man schon ganz genau hinschauen,
um Autos und sonnenbadende Touristen im Badeanzug zu erkennen. Die
Attribute der Neuzeit sind nicht vordergründig, eher wie streunende
Hunde und Katzen ziehen sie sich durch seine Gemälde.
Sowohl die Werke von Theophilos als auch von Stelios Kouinaris bieten
eine bunte Ansicht in das griechische Leben und wären ein tolles
Mitbringsel, wenn es für Sie wieder zurück in Ihre Heimat geht. Sollten
Sie sich für einen Theophilos entscheiden, werden Sie sich wohl mit
einer Postkarte begnügen müssen, außer, Sie sind Kunstsammler und
bereit, einen großen Batzen Geld dafür hinzulegen. Bei Stelios Kouinaris
sieht es noch anders aus, da er bisher keinen allzu bekannten Namen auf
dem Kunstmarkt hat und noch nicht von den großen Galerien entdeckt
wurde. Ein Bild von ihm ist derzeit noch bezahlbar, und trotzdem hat
Stelios in der Burg von Molyvos, wo er arbeitet, Stapel von
Ansichtskarten seiner Werke ausliegen.
Also:
Send me a postcard, now!.
Klicken Sie hier, wenn Sie mehr über Stelios Kouinaris wissen möchten.
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