BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Karagiozis (Bild: Internet)
24.August 2010 - Karagiozis, der Wetterfrosch
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Vor
einigen Wochen kam es bzgl. des volkstümlichen
Schattentheaters zu einem kleinen Tumult in Griechenland, da die
UNESCO die Ursprünge der Kasperlefigur Karagiozis als türkisch
anerkannte. Nun, mag ja sein, dass diese Puppenfigur aus der Türkei
stammt, aber nichtsdestotrotz ist das Schattenpuppenspiel ein wichtiger
Teil des griechischen Kulturguts.
Die
Wurzeln des Schattenspiels liegen in Indonesien und China. In die Türkei
kam es über Zigeuner aus Indien, durch reisefreudige Türken, die es in
China entdeckten und auch aus Ägypten erreichte es das Land. Wie auch
immer, im 16. Jahrhundert wurde diese Art des Puppentheaters in der
Türkei populär.
Der
Protagonist des griechischen Marionettentheaters, Karagiozis, erreichte
Griechenland im 19. Jahrhundert, als das Land noch von den Türken
besetzt war. Er stellt einen armen bucklige Griechen da, der mit seiner
Frau Aglaia und seinen 3 Söhnen zur Zeit des osmanischen Reiches lebt.
Sein rechter Arm ist überlang, seine Kleider geflickt und er ist stets
barfuss. Seine kleine Hütte ist stets links auf der Bühne aufgebaut und
ihr gegenüber, auf der rechten Seite, steht der prächtige Sultanspalast.
Karagiozis ist ein Anti-Held. Damit er und seine Familie leben können,
versucht er stets auf spitzbübische Weise zu Geld zu kommen. Das
Drehbuch beruht meist auf folgendem Inhalt:
-
die
Einführung, in der Karagiozis tanzend und singend mit seinen Kinder
erscheint, mit ihnen witzige Gespräche führt und dann in seiner Hütte
verschwindet.
-
Ein
Abgeordneter des Sultans erscheint und erklärt dem Publikum, dass dieser
ein Problem hat.
-
Chatziavatis, Freund und Kumpan von Karagiozis, bringt alsdann das
Problem in Umlauf, bis Karagiozis davon erfährt.
-
Dieser erkennt es als Möglichkeit, zu Geld zu kommen und bietet seine
Hilfe an, bei denen es sich aber auch um kleine Spitzfindigkeiten und
Betrügereien, mit oder ohne Unterstützung von Chatziavatis, handeln
kann.
-
Andere Charakterfiguren erscheinen eine nach der anderen: Onkel „Barba
Jorgos“ ein Grieche aus den Bergen, ungehobelt und stark, der Karagiozis
stets unterstützt. „Stavrakas“, ein kleiner Bandit aus Piräus, „Sior
Dionysios“, ein „italienischer“ Gentleman von der Insel Zakynthos, „Morfonios“
ein immer verliebter Europäer und „Solomon“ der reiche Jude.
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In
den Gesprächen mit ihnen, macht sich Karagiozis lustig über sie,
verspottet oder vertreibt sie gar.
-
Schlussendlich wird Karagiozis vom Wesir für seine Hilfe belohnt oder
für seinen Übermut bestraft. Derjenige, der die Strafen austeilt, ist
meist der albanische Wachtposten Velinkekas.
Inhalt der Geschichten sind die „heroischen“ Taten des Hauptdarstellers,
meist basierend auf historischen Fakten aus dem griechischen Leben unter
dem osmanischem Joch, oder es werden rein komödiantische Stücke
dargeboten. Begleitet wird das Schauspiel meist von einem Sänger
und/oder einer Gruppe Musikanten.
Viele Puppenspieler haben ihr eigenes traditionelles Szenario, welches
sie in der Regel von älteren Puppenspielern übernommen haben. Obwohl die
Popularität durch das Fernsehen abgenommen hat, kann man das Spiel der
Puppen noch häufig in ganz Griechenland sehen, wie z.B. auch in den
Sommermonaten in Molyvos, wo jede Woche ein neues Stück aufgeführt wird,
und zwar oben im Dorf, von mittwochs bis sonntags, jeweils um 21 Uhr.
Ich
kann mir vorstellen, dass in dieser Woche folgende Geschichte
vorgetragen wird:
Karagiozis wischt mit einem großen schmutzige Taschentuch seinen Söhnen
den Schweiß aus dem Gesicht: „Ab ans Meer mit Euch, nur da finden wir
etwas Abkühlung.“
„Aber wir können doch gar nicht schwimmen“ brüllen sie im Chor.
„Schaut den Fischen beim Schwimmen zu, Ihr Nichtsnutze! Wenn Ihr etwas
nicht könnt, so schaut es Euch bei anderen ab.“ entgegnet Karagiozis.
Hinter seinem Rücken zeigen die Kinder dem Vater eine lange Nase und
verschwinden in der kleinen Hütte. Karagiozis folgt ihnen, schließt die
Tür, nicht aber ohne sich vorher ebenfalls mit dem verdreckten
Taschentuch ausgiebig den Schweiß vom Gesicht zu tupfen.
Auf
der gegenüberliegenden Seite der Bühne öffnet sich die Tür des
prächtigen Palastes, Chatziavatis erscheint, gefolgt durch den Pascha,
der ihm befiehlt: „Findet jemand, der dieser schon so lang andauernden
Hitzwelle ein Ende setzt, damit meine geliebte Tochter Fatma wieder
unbeschadet im Freien wandeln kann. Sie verträgt diese Wärme nicht, und
ein jedes Mal, wenn sie die Mauern des Palastes verlässt, fällt sie in
Ohnmacht.“ Nach diesen Worten versetzt er dem unterwürfigen Chatziavatis
einen kleinen Tritt in den Allerwertesten und verriegelt die Palasttür.
Chatziavatis schaut sich um – niemand ist zu sehen. Dann stimmt er ein
Lied über den schönen griechischen Sommer an. Als immer noch niemand
auftaucht, ruft er nach dem Wetterfrosch, woraufhin Karagiozis erscheint
und seinem Freund auf die Schulter klopft. Chatziavatis fragt ihn
kläglich: „Die andauernde fürchterliche Hitze muss endlich gestoppt
werden, aber wie?“
Der
Befragte nimmt Chatziavitis mit zu seinem bescheidenen Heim, wo sie sich
draußen auf die Stufe vor der Tür setzen, und in nachdenkender Pose,
ihre Köpfe mit den Hände stützen. Da kommt Sior Dionysios, gewappnet mit
einem Sonnenschirm, daher. Karagiozis erhebt sich und fragt den
Vorübergehenden,
ob
er nicht für etwas kühlenden Wind sorgen könne. Dieser antwortet, dass
ihm nur der Schirokko, der heiße Wind aus der Sahara, bekannt sei. „Bist
Du verrückt!“ schreit Karagiozis, die Temperaturen sind schon hoch genug
hier auf Lesvos. Mach, dass Du zurückgehst auf Deine Ionische Insel. Hau
ab!“ Und er schiebt den armen Mann brüsk von sich weg.
Derweil sich Sior Dionysios mit seinem Sonnenschirm davon trollt,
erscheint
Barba Jorgos auf der Bildfläche, ein fröhliches Liedchen pfeifend.
Karagiozis ist irritiert und blafft ihn an: „Wie kannst Du bei dieser
Affenhitze noch so gutgelaunt pfeifen? Ist noch keine Deiner Ziegen
verendet?“ Barba Jorgos hört auf zu pfeifen und fragt: „Ja, spürst Du es
denn nicht? Hast Du denn noch nicht gesehen, dass der Meltémi im
Anmarsch ist?“
Karagiozis kratzt sich am Ohr: „Der Meltémi? Der Meltémi?“ Barba Jorgos
hilft ihm auf die Sprünge: „Ja, der Meltémi, der Nordwind, der bald
Abkühlung bringen wird.“ Vor Aufregung springt der Neffe wie ein
Gummiball hin und her: „Bist Du sicher? Bist Du ganz sicher?“
Onkel Jorgos deutet in den Himmel, als sei der Wind dort schon zu sehen.
Karagiozis folgt seinem Blick und tut gleichzeitig so, als höre er
etwas. „Oh, einer Deiner Ziegen schreit, Barba Jorgos, schnell, schnell,
kehre zurück in die Berge!“
Er
schiebt seinen Onkel sanft aber energisch von der Bühne und wendet sich
wieder seinem Kumpanen Chatziavatis zu, den er nun plötzlich schnell los
werden will. „So, Du hast nun lang genug vor meinem Haus rum gesessen,
hau ab, ich werde das Hitzeproblem alleine lösen!“
Wieder allein, streicht Karagiozis das Taschentuch wiederum über Gesicht
und Haare und macht sich alsdann auf zum Palast, wo er an die Pforte
klopft. Ihm wird aufgetan, er verbeugt sich ehrfurchtsvoll und spricht:
„Mein werter Pascha, mir ist zu Ohren gekommen, dass Deine Tochter Fatma
sehr unter der Hitzewelle leidet. Deshalb habe ich mich an meine Götter
gewandt und sie gebeten, doch einen kühlenden Wind zu schicken. Während
Karagiozis erneut einen Diener macht, weht der erste Windstoß über die
Bühne, und die Palme neben dem Palast bewegt sich leicht. Der darauf
folgenden zweiten Böe beugt sie sich bereits, und dann folgt eine
dermaßen heftige Luftbewegung, dass sich Karagiozis an die Palasttür
klammern muss und der Baum auf den Palast stürzt. Der Zuschauer hört das
Klirren von Glas und Fatmas Schreien.
Karagiozis gerät in Panik und will die Flucht ergreifen, doch der
Wächter Velinkekas ergreift ihn. Der wütende Pascha schreit ihn an: „Du
bist für diesen Wind verantwortlich? Du hast meiner Tochter so zu Tode
erschreckt und dafür gesorgt, dass die kostbare Palme entwurzelt ist und
Schaden an meinem Palast angerichtet hat? Ein Dutzend Stockschläge
sollen Deine Strafe sein, und sorge augenblicklich dafür, dass dieser
Sturm sich verzieht, sonst lass ich Dich in Stücke hacken!“
Tja, keine Belohnung für den Spitzbuben, im Gegenteil...
Auf
Lesvos weht jetzt der strenge Meltémi, hat die Hitzewelle fort geblasen
und auf der Nordseite auch Tische, Stühle und vieles mehr. Das blaue
Meer tobt brüllend und zeigt weiße Schaumkronen, so dass kein Boot sich
herauswagt. Die Wetterfrösche geben an, dass es noch eine Woche so
bleiben wird, und hoffentlich hat sich der Meltémi verzogen, wenn
nächstes Wochenende die „Aegean-Regatta 2010“ im Hafen von Molyvos
einläuft.
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