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BOULEVARD-NEWS LESVOS
Verfallener Bootssteg bei Perama
17.Juni 2015 - Wirtschaftslehre für Anfänger
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Ich
bin schon stolz auf den Großteil der griechischen Bevölkerung. Stolz
deshalb, weil sie die ersten Europäer sind, die für Veränderung gestimmt
haben. Sie haben Alexis Tsiparas gewählt, der sich auflehnt gegen das
Diktat Europas und die Macht der Banken. Er hatte auch den Mut, einen
sehr extravaganten Parteigenossen als Wirtschaftsminister in sein
Kabinett zu holen: Yanis Varoufakis, der ihm nicht nur mit seinem
unorthodoxen Verhalten, Vorgehen und Kleidungsstil sondern auch mit
seinem kühnen ökonomischen Ideen die Schau stiehlt.
Ich
bin weder Journalistin noch Politikerin und schon mal gar keine Fachfrau
in Sachen Wirtschaftswissenschaften. Um die heutigen komplizierten
Zusammenhänge und Verfahrensweisen in der Bankenwelt auch nur annähernd
verstehen und nachvollziehen zu können, muss man schon sehr gute
Kenntnisse von der Materie haben. Es ist also kein Wunder, dass kaum
jemand begreift, wie es zu der derzeitigen Wirtschaftskrise kommen
konnte und nur zu gerne widerspruchslos denen glaubt die es angeblich
wissen, nämlich den Medien.
Nach
Yanis Varoufakis (nicht nur Minister sondern auch Professor der
Wirtschaftswissenschaften) ist die Ökonomie keine exakte Wissenschaft
sondern eine Philosophie, was er in einem aufschlussreichen Buch,
geschrieben für seine Tochter und Unwissende, wie mich, darlegt. Leider
gibt es
“De economie zoals uitgelegd aan zijn dochter“ nur in
holländischer Sprache. In diesem Buch fand ich meine Vermutungen
bestätigt: Die Banken sind die größten Verbrecher unserer Zeit, und die
Politiker haben vergessen, dass es zu den Regierungsaufgaben gehört, das
Geld ihres Volkes zu schützen.
Das
Verfasste leuchtet ein und erläutert, wie wir in die heutige
raffsüchtige Wirtschaftsmisere geraten konnten, in der allein
Großunternehmer und Banken auf dem Rücken der immer ärmer werdenden
Bevölkerung mehr und mehr Kapital anhäufen. Varoufakis erklärt die
komplizierten Sachverhalte an Beispielen aus der Geschichte Englands,
wie z.B. der Einführung der Schafszucht, wodurch viele Landarbeiter ihre
Arbeitsstelle verloren, da Wolle mehr Gewinn als Agrarprodukte
einbrachte. Er beschreibt, wie eine große Welle der Veränderung über
das Land schwappte, die schließlich zur industriellen Revolution führte.
Um das Thema seiner Tochter noch mehr zu verdeutlichen, zitiert er
Filme wie „Matrix“, „Blade Runner“ und „Startrek“.
Ich
weiß nicht, ob auch hier auf Lesvos viele Bauern ihre Arbeit verloren,
als immer mehr Schafe und Ziegen die Insellandschaft prägten, Fakt ist
aber, dass es mehr Landwirtschaft gab, beispielsweise den Anbau von
Tabak, Baumwolle Hülsenfrüchten, Getreide und auch Wein, für den Lesvos
einst sehr berühmt war. Schafen und Ziegen dominieren nach wie vor,
jedoch nicht wegen der Wolle, die irgendwo an einem verlassenen
Plätzchen in der Natur abgeladen wird, sondern die Milch für die
Käseherstellung ist das begehrte Produkt.
Bezeichnend für die industrielle Revolution auf Lesvos, war die
Einführung der Dampfmaschinen, welche die Umwandlung der Oliven in Öl
vereinfachte und den Transport durch Dampfschiffe beschleunigte. Im
Jahre 1900 war die Insel recht wohlhabend, zumal neben der Herstellung
von Öl und Olivenseifen am Golf von Gera auch noch große Gerbereien
betrieben wurden. Die jetzt verlassenen Fabrikgebäude, wie das in Perama,
sind immer noch beeindruckend anzusehen.
Als
nach Jahrhunderten osmanischer Herrschaft Lesvos 1922 wieder griechisch
wurde, lag die Industrie zerstört am Boden, was nichts mit der
Wirtschaft zu tun hatte, sondern mit politischen Ereignissen. Es
verblieben als landwirtschaftliche Erzeugnisse damals Tabak und Harz
(s. Lesvos-News vom
13.7.2010), aber dann übernahmen Olivenöl und Käse die ersten
beiden Ränge in der Exportwirtschaft, gefolgt vom Ouzo.
Nach
Ende des Zweiten Weltkriegs stieg die Entwicklung der westlichen Länder
Europas rasant an, während Griechenland zurückblieb, da es sich zunächst
einem Bürgerkrieg stellen musste, dann kam es 1967 zum Putsch der
faschistischen Obristen: Kein Klima für Investitionen. Nach Ende der
Militärdiktatur, 1974, lag das Land verarmt dar.
Welch´ Hoffnungen machte man sich mit dem Anschluss an Europa. Billige
Kredite lockten, und manch einer wähnte sich alsbald in einem
Schlaraffenland. Jetzt erkennt man, wie hoch der Preis ist, den man
dafür zahlen muss und stellt erschüttert fest, dass das Land ein halbes
Jahrhundert, nachdem es endlich wieder die langersehnte Freiheit erlangt
hatte, wieder an einem tiefen Abgrund steht.
Und
vielleicht ist es sogar ganz Europa, das sich immer weiter nach unten
ziehen lässt. Wird es doch immer deutlicher, dass die Politiker nach der
Pfeife der Großunternehmer und Banker tanzen. Was soll man sonst dazu
sagen, dass man dem großen gefährlichen Wolf „Monsanto“ die Erlaubnis
erteilt hat, in Europa zu arbeiten? Diesem Industrie-Giganten, der für
die Herstellung von gentechnisch verändertem Saatgut, chemischen
Insektiziden und des mit Dioxinen kontaminierten Herbizids „Agent
Orange“ bekannt ist, das während des Vietnamkriegs zur Entlaubung
eingesetzt wurde und zu schlimmen gesundheitlichen Schädigungen bei
Bevölkerung und Militär führte. Tja, „Monsanto“ hat nun Patente für
Gemüse erworben und versucht in Frankreich in die Weinindustrie
einzusteigen.
Es
scheint, als würde das Unternehmen „Monsanto“ alles bekommen, was es
will, und wenn es so weitergeht, werden Sie in ein paar Jahren den
geliebten „Choriatiki“, den Bauernsalat der Griechen, vergessen können,
da es nur noch „Monsanto-Salat“ geben wird. Tomaten, Gurken, Zwiebeln,
Paprika… Monsanto wird alle Reche an konventionell gezüchtetem Gemüse
erworben haben! Auf Lesvos haben die meisten Menschen einen kleinen
Garten, in dem ihr Gemüse gedeiht, und auch in den Tavernen bekommen sie
Produkte aus dem eigenen Anbau. Die griechischen Tomaten sind in den
Sommermonaten sehr beliebt bei den Touristen, macht sie das viele
Sonnenlicht doch überaus schmackhaft. Aber ich wette, sollte „Monsanto“
die Märkte beherrschen, dann gibt es nur noch manipulierte Tomaten, die
überall gleich schmecken. Ha, und wahrscheinlich darf sowieso nur noch „Monsanto-Gemüse“
angepflanzt und gegessen werden…
Wenn
man sieht, wie Europa das Messer an die Kehle eines seiner
Mitgliedsstaaten setzt, wie es versucht, das Flüchtlingsproblem auf 3
Länder abzuwälzen und nichts tut um das Bankensystem zu reformieren,
wird deutlich, dass das Projekt Europa gescheitert ist. Kein Politiker
hat daraus gelernt, wie
Island mit seinem Konkurs umging, denkt daran, dass
Flüchtlinge auch zu einer Lösung der europäischen Krise beitragen können
oder wagt es gar, die Geldentscheidungsträger zu stoppen. In meinen
Augen bekommen die Westeuropäer immer mehr Ähnlichkeit mit
„Matrix-Robotern“, so, wie Varoufakis in seinem Buch beschreibt: Das
Volk lässt sich neue Gesetze auferlegen, murrt vielleicht ein bisschen
aber wirklich revoltierende Maßnahmen ergreift niemand.
Deshalb ist es doch gut, dass Griechenland – was auch immer kommen mag –
sich nicht allzu viel von den Geldgebern vorschreiben lässt. Ich lass
zum Schluss mal den Gedanken da, dass das neue Europa, wenn es - und
überhaupt die Demokratie - überleben wird, in Griechenland beginnen
wird. Wenn Sie mehr von unserer turbulenten Welt wissen möchten, dann
ist das Buch von Yanis Varoufakis ein Muss für die erste Lektion im Fach
Wirtschaft!
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