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BOULEVARD-NEWS LESVOS
Ein Feld mit Kohl in Eftalou
13.Februar 2015 – Kohl ist cool!
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Ein
bitterkalter Nordsturm aus Sibirien ließ die meisten Griechen in den
letzten Tagen ihr warmes Plätzchen neben dem Öfchen nur im äußersten
Notfall verlassen. Während über Athen der Schnee rieselte, bekam auf
Lesvos der aufgeweichte Boden endlich die Zeit zu trocknen, an den
Küsten jedoch peitschte der Sturm hohe gewaltige Wellen über Kais,
Straßen und Wege. Tja, und als das Wasser sich wieder zurückzog, machte
es uns unverhohlen darauf aufmerksam, wie rücksichtslos wir Menschen mit
der Umwelt umgehen: In Zäunen und Hecken hatten sich unzählige
Plastikprodukte verfangen, die das Meer auf diesem Weg an den Absender
zurückgebracht hat.
Ich
frage mich oft, wie viel von dem Plastik in den Mägen der Fische landet
oder auf den Feldern, wo unsere Nahrung angebaut wird. Wo auch immer man
hinsieht, erblickt man Plastik, sogar tief in den Wäldern der Insel, und
das, obwohl ich zugeben muss, dass in den letzten Jahren die Landschaft
sauberer geworden ist… Man hat gelernt hier, ist umweltbewusster
geworden, und die Menschen begegnen der Natur mit mehr Respekt.
Aufgrund der ungewöhnlichen Kälte der letzten Monate ist auch auf den
Feldern derzeit nicht viel mehr als Kunststoff zu ernten. Klar ist das
Gemüseangebot zu dieser Jahreszeit nicht sehr vielfältig, aber in milden
Wintern, gibt es immerhin die Auswahl zwischen Spinat, Kopf- und anderen
Blattsalaten. Nicht so in diesem Jahr, so dass wir uns auf die
winterharten frostbeständigen Produkte, wie Kohl und Rote Bete,
verlassen müssen, wenn es Gemüse aus dem freien Land und nicht aus dem
Gewächshaus sein soll.
Kohl assoziiert man eigentlich mit nördlichen Ländern, wie Russland,
Polen, Deutschland, aber auch die Griechen essen viel Kohl in den
Wintermonaten. Die populärsten Gerichte sind „Lachano salata“
(griechischer Weißkrautsalat mit Essig und Öl), „Lachano brasto“
(gekochte Kohlblätter mit einem Schuss Olivenöl, meist überraschend
süßlich schmeckend) und „Lachanodolmades“ (Kohlrouladen, gefüllt mit
Hackfleisch und einer Zitronen-Ei-Sauce, „avgolemono“ genannt).
Natürlich ist in den griechischen Mythen auch eine Legende zu finden,
die sich um die Herkunftsgeschichte dieses Lebensmittels dreht: Als
einst Dionysos, der Gott des Weines und der Feste, mit seinen
Begleiterinnen, den Mänaden, durch Thrakien zog, brachte er damit den
König des Landes, Lykurgos, so in Bedrängnis, dass dieser ihn und sein
Gefolge in Gefangenschaft nahm. Na, da tobte der Gott und strafte den
König mit Wahnsinn. In diesem verwirrten Zustand hielt Lykurgos seinen
Sohn für einen Rebstock und tötete ihn auf grausamste Art: Er hackte ihm
mit einer Axt die Gliedmaßen ab. Als er sich seiner Tat bewusst wurde,
vergoss der liebende Vater bittere Tränen, die sich in Kohlköpfe
verwandelt haben sollen. Tja, und wegen dieser uralten Geschichte sind
die Griechen noch heute davon überzeugt, dass Weinstöcke, pflanzt man
sie in der Nähe von Kohl, unfruchtbar sind, und sie sind auch davon
überzeugt, dass Kohl vor einem Trinkgelage gegessen, eine solide
Grundlage für Alkohol ist oder auch eine helfende Medizin gegen den
Kater danach, hat man ihn vorher vergessen.
Kohl war in früheren Zeiten nicht nur ein Arme-Leute-Essen, sondern galt
als Mahl der Redlichen. Als der Philosoph Diogenes von Sinope einst auf
die Suche nach einem ehrlichen Menschen machte, begegnete er einem Mann,
der dafür bekannt war, sich bei den Reichen einzuschmeicheln und sagte
zu ihm: „ Wenn Du Dich damit begnügen würdest, Kohl zu essen, müsstest
Du den Reichen nicht schmeicheln.“ Die Antwort: „Wenn man den Reichen
schmeichelt, muss man keinen Kohl essen.“
Zu
erwähnen ist, dass Kohl sehr gesund ist, hat er doch Vitamin C, Kalium,
Kalzium und Eisen zum Inhalt. Auch die Griechen in der Antike schrieben
ihm heilende Wirkung zu. Erasistratos, ein griechischer Arzt, der der 3
Jahrhunderte vor Christus lebte, verordnete seinen Patienten Kohl bei
Magenkrankheiten, Lähmungen, Zittern und Blutspucken, und nach Plinus
dem Älteren war der morgendliche Verzehr von rohem Kohl mit „Oxymel“
(Sirup aus Wasser, Honig, Essig), Koriander, Weinkraut, der
Becherpflanze („silphium perfoliatum“) hilfreich bei Sehstörungen,
Flecken vor den Augen, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und Milz- und
Magenproblemen.
Bei
dem römischen Staatsmann Cato fand eine Paste aus Kohl schon vor 2000
Jahren Anwendung bei der Wundheilung, und im 18. Jahrhundert verließ
kaum ein Schiff den Hafen, ohne ausreichend Kohl und Sauerkraut (gegen
Skorbut) an Bord zu haben. Auch der berühmte Kapitän Cook griff nach
Auflagen aus Kohlpaste bei seiner ersten Reise, denn es gab viele
Verletzte nach schweren Stürmen, denen damit Linderung geschenkt wurde.
Wussten Sie eigentlich, dass Pythagoras Vegetarier war? Brachte er den
Göttern Opfer dar, war das kein Fleisch, weil er nicht wollte, dass ein
Tier dafür stirbt, sondern Rohkost in Form von Getreide und jeglicher
Art von Gemüse. Er war überzeugt davon, dass diese unbearbeiteten
Nahrungsmittel Geist und Körper fit halten. So war er natürlich auch ein
Freund von Kohl und hielt einige Rezepte schriftlich fest, wie z.B.
dieses:
KOHLBLÄTTER GEFÜLLT MIT NÜSSEN
12
große Kohlblätter
Gerstenbrot oder Essenerbrot ( aus angekeimten Getreide)
2
EL geriebene Zwiebel
1
Tasse Hasel- oder Pekannüsse
½
Tasse Sellerie, gewürfelt
2
TL gemischt Kräuter
Salz und Pfeffer nach Geschmack
Das
Brot in eine Schüssel krümeln und die anderen Zutaten (bis auf die
Kohlblätter) untermengen. Entfernen Sie mit einem scharfen Messer den
harten Strunk aus den Blättern, breiten diese dann auf der Arbeitsfläche
aus und geben die Füllung darauf. Jetzt können sie aufgerollt und auf
einem mit einigen Stielen Petersilie oder Minze dekorierten Teller
serviert werden.
Nun, ich muss an dieser Stelle einräumen, dass das Originalrezept einen
anderen Namen hatte, nämlich „Kohlblätter gefüllt mit Eicheln“. In der
Antike erfreute sich diese Baumfrucht großer Beliebtheit, naja, und da
ja heutzutage keine Eicheln mehr gegessen werden, sind halt eben Nüsse
an ihre Stelle getreten… Aber ehrlich gesagt, dieses Gericht wird
niemals wirklich meine Leibspeise sein, sei es noch so gesund, denn es
ist r o h, denn auch das Brot wird nicht gebacken: ….“formen Sie
gekeimte Gerstenkörner und eine halbe Tasse zerkleinerte getrocknete
Feigen zu einem Laib und lassen Sie diesen 12 Stunden vor dem Servieren
ruhen….“.
Ich
war früher nie ein Fan von Kohl, erst seit ich auf Lesvos lebe, begann
ich, dieses Gemüse aufgrund seiner vielseitigen
Zubereitungsmöglichkeiten und seiner Ergiebigkeit mehr und mehr zu
schätzen. In der letzten Woche sah ich in der Zeitung das Bild eines
Mannes der einen Kohlkopf von wahrhaftig 11 Kilogramm geerntet hat. Na,
mit diesem riesigen Exemplar kommt er doch glatt durch den Winter,
obwohl, ist es erstmal angeschnitten, gehen die Vitamine schnell
verloren.
Bei
meinen Internetrecherchen stieß ich
auf eine Seite mit Kohlrezepten
der moderneren Art. Sie kamen mir zwar nicht alle griechisch vor, aber
immerhin enthalten sie griechische Zutaten. Ich werde einige von ihnen
in den nächsten Tage ausprobieren, denn das Ende des griechischen
Winters scheint noch in weiter Ferne zu liegen, und Pythagoras hat eine
weitere positive Eigenschaft des Kohls nicht bedacht, nämlich dass er
die Seelen erwärmt, und warme Seelen wären schon ganz gut im Hinblick
auf den anstehenden Karneval bei eisiger Kälte.
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