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BOULEVARD-NEWS LESVOS
Ankunft einer neuen Flüchtlingsgruppe in Eftalou
26.Mai 2015 - Auf geht’s Lesvos!
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Letzten Sonntag waren es nicht die Flüchtlinge die Molyvos füllten,
sondern Radfahrer nahmen die Straßen ein. Groß, klein, jung, alt.... es
schien, als hätten sich alle Fahrradbesitzer der Insel unter der
brennenden Sonne zusammengefunden. Die mittelalterlichen, mit Kopfstein
bepflasterten Gassen, die sich kurvig und steil durch das Dorf
schlängeln, sind eine fantastische Herausforderung für diese
organisierte städtische Radtour, die nun das zweite Mal stattfand.
Jahrhunderte waren es die Esel, die als Transportmittel in Griechenland
dienten, bis zu dem Zeitpunkt, an dem diese Lastenträger neben der
Straße geparkt wurden, um den Kraftfahrzeugen Platz zu machen. In der
Fortbewegung mit ihrem aftokinito, wie das Auto genannt wird, machen
aber viele Griechen nicht wirklich so viel anders, sehen es vielmehr als
motorisierten Esel an, wodurch es ab und an zu ziemlich gefährlichen
Verkehrssituationen kommen kann: So stoppen sie ihr Fahrzeug mitten auf
der Straße, um einen Freund, der, aus der entgegen gesetzten Richtung
kommend, ebenfalls spontan auf die Bremse tritt, zu begrüßen und ein
kleines Quätschchen zu halten, oder sie überholen riskant in einer
Kurve, wahrscheinlich, weil sie immer noch im Kopf haben, dass es doch
auch hoch zu Ross, ähem, Esel, gefahrlos möglich war. Tja, und ich will
gar nicht erst darüber reden, welche Gefahr die Esel darstellen, die am
Wegesrand meist quer geparkt wurden, und sich dort genüsslich und stur
an Gras und Pflanzen laben.
Auf
Lesvos gibt’s seit geraumer Zeit eine neue Gruppe von
Verkehrsteilnehmern, die nun immer häufiger auch da auftauchen, wo die
Straßenverhältnisse schwierig und unübersichtlich sind: Fahrradfahrer!
Ja, Radfahren ist in Griechenland auf dem Vormarsch, und die Autofahrer
müssen sich immer mehr auf sie einstellen, da sie ja nicht wirklich
langsam radeln und mit dieser Schnelligkeit immer Gefahr laufen, in
Kurven in ein entgegenkommendes Auto zu donnern oder einen Abhang
hinunterzustürzen. Ich frage Sie, haben Sie vor vielen Jahren je ein
Fahrrad in Griechenland gesehen? Ein griechisches Buch, dessen Titel
übersetzt heißt
"Radfahren in Griechenland, 1880-2012", belegt
erstaunlicherweise, dass es wohl im Jahre 1880 erstmals eines im Land
gab.
Wie
wir wissen, ist Radfahren gesund und preiswert. Letzteres ideal zu
Zeiten der Krise, obwohl ich mir kaum vorstellen kann, dass sich ein
jeder hier die Anschaffung leisten kann. Aber Fahrradliebhaber
unternehmen derzeit alles, um diese Fortbewegungsart populär zu machen.
In den großen Städten und auch auf den Inseln werden immer häufiger
Fahrrad-Events veranstaltet, wie das „Athens Bike Festival“, das in
diesem Jahr vom 18.-20. September stattfinden wird, und auch die
Hauptstadt von Lesvos, rief dazu bereits seit einigen Jahren im Frühjahr
auf, mit Erfolg, denn die Straßen von Mytilini waren überschwemmt mit
Radfahrern.
Wahrscheinlich infiziert von den Bergetappen berühmter Radrennen, machen
sich immer mehr Sportradler auf nach Lesvos, um ihre Runden um die Insel
zu drehen. Man ergriff diese Situation am Schopfe und veranstaltet nun
schon seit Jahren
"Lesvos Brevet", eine Langstreckenfahrt für Fanatiker und
diejenigen, die mehr als Amateure sind und das ganze Jahr von einem zum
anderen Brevet auf Inseln und Festland reisen. Die Rennstrecken werden
Jahr für Jahr länger, so stellt der Veranstalter dieses Jahr 2 Distanzen
zur Wahl. Das 400-km-Rennen hat bereits im März stattgefunden, und das
über 200 km, mit Start und Ziel in Molyvos, ist für den 7. Juni
angesetzt. Für fremdländische Teilnehmer ist die Veranstaltung nicht
wirklich geeignet, da die gesamte Info und Organisation in griechischer
Sprache stattfindet. (Mein Bruder ist seit Jahren der einzige nicht
griechisch sprechende Teilnehmer). Schade, denn so groß diese
Herausforderung auch ist, aber sie führt auch den ganzen Tag über die
wunderschöne Insel. Stellen Sie sich mal vor, dass die „Tour de Lesvos“
würde es zu einer solchen Popularität wie die „Tour de France“
bringen...
Tja,
aber nun wieder zum Ernst des Lebens, der sich hier erschütternd zeigt:
Die neueste Gruppe von Verkehrsteilnehmern bleiben in Massen die
Flüchtlinge, denn es gibt kein Geld mehr, um sie in Bussen nach Mytilini
zu transportieren und/oder weil das dortige Heim inzwischen überfüllt
ist. So trotten Sie auf den Straßen in Richtung Mytilini, ihr Shirt auf
dem Kopf zum Schutz vor der sengenden Sonne, einen kleinen Rucksack mit
ihren wenigen Habseligkeiten auf dem Rücken, müder und müder werdend.
Keine Kontrollstation, die sie passieren können, um Durst und Hunger zu
stillen, damit sie Kraft für den weiten Fußweg schöpfen können. Ein
herzzerreißendes Bild, dass sich überall auf der Insel Kopf und Seele
einbrennt, egal ob man auf dem Weg nach Sigri, Mandamados, Plomari,
Molyvos oder Kalloni ist. Vorsichtige und zurückhaltende
Verkehrsteilnehmer zwar, aber wenn ich darüber nachdenke, dass sie ja
auch ihre Strecke im Dunkeln auf den Straßen zurücklegen? Muss erst so
etwas passieren, wie im April in Mazedonien, wo
14 Flüchtlinge von einem Zug überrollt wurden, weil sie sich auf
den Gleisen auf einem sicheren Weg zum Hafen wähnten? Ist es
menschlich, zuzulassen, dass sich Alte, Kranke, Kleinkinder und
Schwangere auf diesen beschwerlichen Fußweg machen?
Ich
lebe an der Grenze Europas. Im Süden wird diese Grenze überflutet von
Flüchtlingen aber die nördlichen Länder kümmern sich nicht um ihre
eigenen Grenzen. Wenn die Geflohenen hier unbeschadet das Ufer
erreichen, dann jubeln sie, weil sie denken, sie seien in Europa. Ich
bin nicht der Meinung, denn sie sind in Griechenland angekommen, und vor
ihnen liegt eine weitere beschwerliche Reise bevor sie Europa erreichen
werden. Europa liegt derzeit in der Hand der nördlichen Länder, die den
südlichen Ländern immer wieder mit finanziellen Mitteln unter die Arme
greifen wollten, Unsummen inzwischen, die unmöglich zurückzuzahlen sind,
und man kann befürchten, dass diese Schulden sie so arm machen werden,
wie die meisten Flüchtlinge. Ich wette, dass der reiche Norden Europas
nicht abgeneigt ist, einen eisernen Vorhang im geographischen Europa zum
armen Süden zu ziehen. Aber bitte, ist die Europäische Gemeinschaft
nicht aufgebaut worden, damit Grenzen verschwinden?
In
Brüssel sitzen gutbezahlte Leute, die darüber diskutieren, demnächst –
wenn erforderlich auch mit Waffengewalt – den Menschenschmugglern an
Libyens Grenzen das Handwerk zu legen (seltsamerweise erwähnt niemand
die türkischen Schmuggler), also die Gruppe, die verantwortlich für das
Flüchtlingsproblem sein soll. Ach, und der Sondergipfel der EU will auch
noch die Flüchtlingsboote zerstören, aus Angst sie würden wieder
verwendet…
Wie
dumm und naiv ist Europa eigentlich? Das Zerstören der Boote übernehmen
die Flüchtlinge schon selbst, denn kein Boot, das die Küste von Lesvos
erreicht, bleibt unversehrt.
Ist
es so schwierig, internationale Polizei an die Grenzen zu setzen, die
Flüchtlinge aufzufangen, sie zu registrieren und an ihren Bestimmungsort
weiterzuleiten? Zeigt ihnen doch, dass es Europas Grenzen sind und nicht
nur allein die von Griechenland, Spanien und Italien.
Und
die Niederlande? Ich habe das Gefühl, mein Heimatland wird von einer
Kindergartenklasse regiert. Da wird diskutiert ohne Ende, ob man sich
der Meinung in Brüssel anschließen kann, denn man will ja keine
Flüchtlinge aus dem Süden mehr aufnehmen. Ich könnte jetzt schon meine
Hand ins Feuer legen, dass die Debatten weitergehen bis zur Sommerpause,
dann erst mal schön Ferien machen, tja, und dann, wenn man zurückkommt
hat sich der Flüchtlingsstrom vielleicht gelegt… Was???
Nun,
Politiker aus Europa, mein Vorschlag an Sie: Verbringen Sie Ihren Urlaub
doch auf Lesvos. Vielleicht sogar mit dem Fahrrad, aber das sollte dann
schon mit einem Korb, oder besser noch, mit einem kleinen Anhänger
ausgestattet sein, um Wasser und Brot für die Flüchtlinge dabei zu
haben, die sich hier auf den Straßen auf der Suche nach Europa quälen
müssen.
Anmerkung der Übersetzerin:
Elias
Bierdel von der Organisation „Borderline Europe“ wird in dieser Woche
nach Lesvos reisen, um sich für ein Hilfeprojekt einzusetzen. Unabhängig
davon wird damit begonnen, Initiativen entlang der Küste (Molyvos,
Skala Sikamineas, Mandamados, etc) finanziell zu unterstützen. Wenn Sie
also unter dem Stichwort "Flüchtlinge Lesvos" spenden möchten,
garantiert er persönlich, dass das Geld ohne Abzüge an die richtige
Stelle kommt:
Borderline-europe e.V.
GLS-Bank, Bochum
Konto
4005794100
BLZ
43060967 IBAN: DE 11430609674005794100
IBAN
Papierform: DE11 4306 0967 4005 7941 00
BIC:
GENODEM1GLS
Stichwort: "Flüchtlinge Lesvos"
Also,
mein Vertrauen hat Herr Bierdel und die Organisation.
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