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BOULEVARD-NEWS LESVOS
Eine
Grille
29.August 2015 – Die Grille und die Ameise
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Während eines griechischen Sommers ist es schon ziemlich schwierig, ein
ruhiges Plätzchen für Gespräche oder eine Buchlektüre zu finden. Und was
denken Sie, macht es so schwer? Schreiende Kinder am Strand? Dröhnendes
Discotheken-Bumbum? Das unentwegte Blöken der Esel? Nein! Nichts von
dem, sondern es ist ein kleines Tierchen, das den größten Lärm macht: Je
heißer es wird, umso eifriger setzt die Grille alles daran, Ihr
Trommelfell zum Zerbersten zu bringen.
Es
ist nahezu unglaublich, dass zirpende Insekten eine Lautstärke bis zu
über 100 Dezibel erzeugen können. Wissenschaftler bezeichnen diese Form
der Kracherzeugung „Stridulation“, ein Wort, dass mich eh an Violinen
denken lässt, aber Grillengezirpe erinnert in keiner Weise an ein
Streichorchester, sondern vielmehr an das Starten eines Motors. Die
Grille nutzt zur Geräuscherzeugung ihre beiden Flügel, deren Ränder
kammartig aussehen. Na, und da sie mit dem einen über den anderen
sozusagen s t r e i c h t, lieg ich mit den Geigen doch nicht so
verkehr...
Ich
habe die Fabel „Die Grille und die Ameise“ des französischen Dichters
Fontaine gelesen, die davon erzählt, dass die Ameise im Sommer
vorausschauend hart dafür arbeitet, um durch den Winter zu kommen,
während die Grille derweil nichts tut, als ihre Lieder zum besten zu
geben. Tja, und als dann der Winter da ist, klopft der Lebenskünstler
dann bei der fleißigen Ameise an und bittet um Unterstützung, die ihr
jedoch von dieser nicht gewährt wird.
Diese so treffende Geschichte spielt sich jeden Sommer hier vor meinen
Augen ab: Die Grillen-Männchen hocken lärmend in den Bäumen (manchmal
auch in meinem Wohnzimmer) und flirten lautstark mit den Weibchen, die
jedoch mit keinem Ton darauf antworten, denn das Stridulieren ist allein
dem männlichen Geschlecht vorbehalten.
Die
Ameisen hingegen sind monatelang emsig und fleißig wie die Bienchen,
ziehen und schleppen Dinge, die oft doppelt so groß sind, wie sie
selbst, um was weiß ich wo überall ihre Nester zu bauen und
auszustatten.
Seit dem Frühjahr bereits haben die Ameisen mein Haus besetzt, und,
obwohl es die kleinen unauffälligen von ihnen sind, ist der Kampf für
mich von vornherein verloren. Ich tue wirklich alles, um das Haus sauber
zu halten, vor allem die Küche, wo kein einziger winziger Krümel mehr
liegen darf, um nicht Armeen des Krabbelgetiers anzulocken. Ich komm mit
dem Putzen einfach nicht nach und schon gar nicht während einer solchen
Sommerhitze, wie sie uns in der letzten Zeit hier beschert wurde.
Inzwischen habe ich auch schon größere Ameisen entdeckt, die versuchen,
das Haus zu erobern. Oh, man, wenn Sie wüssten, wie viele von ihnen ich
in der letzten Zeit schon getötet habe.
Die
gute Nachricht ist, dass die Ameisen in diesem Sommer Konkurrenz von den
Hornissen bekommen haben. Das soll jedoch nicht heißen, dass ich
glücklich über diese Tierchen bin, die zu den größten Wespen Europas
zählen, und mit ihrer roten Färbung ganz schön einschüchternd wirken
können, aber es ist gut für die Umwelt, dass diese vom Aussterben
bedrohte Art, nachdem man sie jahrelang kaum sah, wieder zurück sind.
Tja, und wenn eine Ameise eine Delikatesse entdeckt, beobachte ich
immer wieder, dass die stärkere Hornisse schneller ist, und ihr diese
entreißt: Es lebe die Revolution!!!
In
diesem Jahr sind die griechischen Ameisen (ich gehe davon aus, dass sie
nicht mit den Flüchtlingen aus der Türkei gekommen sind) besonders
eifrig. Ob Sie von einem strengen Winter ausgehen? Oder ob sie gar für
einen guten Zweck sammeln? Fällt ihnen da die Entscheidung wohl auch so
schwer, wem sie diesen zuteil kommen lassen? In den jetzigen Zeiten
steht man vor der traurigen Wahl, wem man eine Spende zuführen soll: Den
Flüchtlingen oder den Griechen, die, vor allem in den Städten, kaum noch
den Kopf über Wasser halten können.
Wie
die Grillen lieben die Griechen den Gesang, vor allem im Sommer. Aber
jetzt ist die griechische Wirtschaft bereits wie in einem strengen
Winter gefangen, und Europa verhält sich dem Land (und den Flüchtlingen)
gegenüber ablehnend wie die arrogante Ameise in der Fabel. Das Singen
ist den Griechen inzwischen vergangen. Sie haben kein Geld mehr, um in
eine Taverne zu gehen, wo sie zusammensitzen, essen, trinken, reden und
– wie es schon immer Tradition ist - ihre Lieder vom Leben und der
Liebe singen.
Der
kommende Winter wird besonders hart werden, aber ich bin sicher, dass
trotz all des Elends die Griechen tanzen und singen werden und wenn auch
aus dem Grund, sich warmzuhalten, so wie es die Ameise der Grille
riet......
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