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BOULEVARD-NEWS LESVOS

 

Sterne über Lesvos

 

16.Juli 2015 - "Grüße aus Griechenland"

Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski 

 

Sie kennen sie bestimmt auch, diese Nächte, in denen man kein Auge zumachen kann. Gestern durchwachte ich eine solche, hörte die laute Partymusik der Grillen in der Stille der lauen Sommernacht und grübelte darüber nach, ob ich am nächsten Morgen noch in Europa oder einer neuen Nation leben werde. Da an Schlaf eh nicht zu denken war, tauschte ich mein Bett gegen einen Platz unter der über und über mit funkelnden Sternen besetzten Himmelskuppel und ließ meinen Blick hinüber ans andere Ufer schweifen, wo die türkische Küste, wie mit einer Lichterkette geschmückt, in der Ferne blinkte. Welch eine herrliche Nacht, in der nur die Geräusche der wohl nie schlafenden Insekten und sanfter Wellenschlag vom Meer her zu hören waren.

 

Um mein ruheloses Grübeln zu stoppen und Fragen auf meine Antworten zu bekommen, öffnete ich auf meinem iPad die Titelseite einer Tageszeitung. Die Schlagzeile enttäuschte mich: Griechenland hat also das Joch Europas akzeptiert. Wie sehr hatte ich gehofft, dass hier ein neues Land entstehen und so wie Phönix aus der Asche aus dem Chaos, das Europa angerichtet hat, steigen wird.

 

Ich schaute hoch zu den Sternen, die ja, so die Wissenschaft, bereits Millionen von Jahren alt sind und fragte mich, was sie wohl so über Mutter Erde denken. Ob sie sich Sorgen darüber machen, was auf einer Insel wie Lesvos so passiert oder ob sie es mit einem Zucken ihrer glänzenden Schultern abtun, da sie ja erlebt haben, wie Griechenland schon so viel durchlebt hat  und mit dieser Erfahrung  wissen, dass die Nation auch diese Krise überstehen wird.

 

Just in dem Moment huschte ein Stern übers Firmament. Völlig überrascht von dieser Himmelserscheinung, ist doch der August der Sternschnuppenmonat, vergaß ich prompt, mir etwas zu wünschen. Das Motorengeräusch eines Bootes drang von der schwarzen See her zu mir herüber…Flüchtlinge, die Europa suchten? Ne, bei der Lautstärke musste es die Küstenwache sein, die nun rund um die Uhr ihre Bahnen zieht, da die fragilen Boote nun zu jeder Stunde von der Türkei Richtung Lesvos starten. Ich schaute zu den sternengleichen Lichtern am gegenüberliegenden Ufer und fragte mich, wie viele verzweifelte Menschen dort versteckt in der Dunkelheit warteten, um alsbald die gefährliche Überfahrt zu wagen. Wie eine glatte schwarze Eisbahnfläche lag das Meer dar und wäre zu diesem Zeitpunkt recht gefahrlos zu überqueren, vorausgesetzt natürlich, die Menschenschmuggler füllen den Tank mit ausreichend Benzin. Wahrscheinlich waren jetzt gerade auch schon voll besetzte Boote unterwegs auf dem unbeleuchteten Meer, mit türkischen Sternen im Rücken und ein paar Lichtern an der Nordküste unserer Insel im Blick, die als Leuchtturm dient, um Europa zu finden. Ob sie auch die Sternschnuppe gesehen haben und sich noch rechtzeitig was wünschen konnten?

 

Der Klang des Motors erstarb, und allein das Zirpen der Grillen erfüllte wieder die Stille der Nacht. Meine Gedanken zogen weiter in das ferne Athen, überspannt von demselben Sternenhimmel  und fragte mich, ob die Randalierer dort inzwischen zur Ruhe gekommen sind. Mir kam das Buch „Groeten uit Griekenland“ („Grüße aus Griechenland“, nur in niederländischer Sprache) von dem Belgier Bruno Tersago in den Sinn, worin dieser die Krise deutlich erklärt, und zwar anhand ergreifender Geschichten über das meist harte Leben in den griechischen Städten. Bevor er sich kürzlich an dieses Werk machte, war Bruno Tersago ein sehr unterhaltsamer Blogger aus dem Hafen von Piräus, der mit recht viel Humor über die griechische Gesellschaft und damit verbundene interessante Themen schrieb. Nach und nach schlich sich mehr und mehr Politik in das Geschriebene ein, und seit die Krise grausam zuschlug, trieft erschreckend Trauriges aus seinen Zeilen.  Ein Missstand nach dem anderen stellte Bruno Tersago an den Pranger, das Lachen war ihm vergangen, sein Humor scheint in dem Elend ertrunken zu sein, und  all das hat  ihn geformt zu  einem Experten auf dem Gebiet der zeitgenössischen griechischen Tragödie.

 

Ich wünsche mir, dass dieser Schreiber für sein nächstes Buch in der jungen Gesellschaft, die in  dieser Krise aufwächst, recherchiert. Eine Generation, die sich vielleicht vom Staat abwendet, neues Geld und Lebensformen einführen wird, Bewegungen wie “Guerilla Gardening“ folgen wird. Der Anfang wurde bereits vor Jahren in Volos gemacht, wo die virtuelle Währung TEM als Zahlungsmittel eingesetzt wurde, und auch das Interesse an dem digitalen Geldeinheit Bitcoin hat in Griechenland inzwischen zugenommen, obwohl es nur wenige Orte im Land gibt, wo die Internetwährung Verwendung finden kann. Noch sehe ich mich kaum zum Bäcker in Molyvos gehen, und versuchen, mein Brot mit Bitcoins zu bezahlen.

 

Nun, auf den ersten Blick ist hier auf Lesvos eh nicht viel von einer Krise zu erkennen, und die Hoffnung auf eine gute Sommersaison, die den Euro rollen lässt, besteht nach wie vor, obwohl diese nach einem guten Start, plötzlich von heute auf morgen zusammengebrochen ist. Nicht ohne Grund machten sich große Sorgen unter den Inselbewohnern breit, denn es waren zu viele Touristen, die aus Angst ihre Reisen stornierten oder erst gar nicht buchten, nach dem, was ihnen von den Medien zugetragen wurden.

 

Ich kann berichten, dass es immer noch Geld aus den Automaten gibt (für die Touristen mehr, wie für die Griechen),  die Regale in den Supermärkten nach wie vor gut gefüllt sind, zumal die Griechen selbst kein Geld haben, um viel einzukaufen, und wer behauptet, dass sich die Insel aufgrund des Flüchtlingsstroms in ein gefährliches Pflaster verwandelt hat, verbreitet unangebrachte Panikmache, es ist völliger Unsinn!

 

Zurück an meinen Platz unterm Sternenhimmel, wo ich mich in dieser Nacht auch an der Milchstraße erfreute, deren weiße Glut mich an den Papst Franziskus denken ließ, der in der letzten Woche mit harten Worten gegen die führenden Politiker in der Welt wetterte, die sich in den Bann des Geldes haben ziehen lassen, das er als „Kot des Teufels“ bezeichnete. Er hat ausgesprochen, was so viele schon geschrieben haben, und so kann ich sicher sein, dass ich bestimmt nicht die einzige bin, die von Europa angeekelt ist. Die sogenannte Union hat nun ihr wahres Gesicht gezeigt, und ich bin traurig, dass Griechenland keinen anderen Weg gefunden hat, als den, in den Fängen des Monsters zu bleiben. Schon 1932 warnte Aldous Huxley mit seinem Buch “Schöne neue Welt“ vor diesem Phänomen: Ein literarischer Alptraum, der sich bewahrheitet hat.

 

Wieder schaute ich in meiner schlaflosen Nacht hoch zu dem so alten Sternenreich. Wie machen sie das nur, so schrecklich lange unbewegt über der Welt zu hängen? Und wieder sah ich einen Stern fallen und war dieses Mal schnell genug, einen Wunsch zu formulieren. Still und unausgesprochen, auch jetzt, denn ansonsten ist da keine Chance, dass er sich erfüllt.

 

Ich hoffe, dass die Flüchtlinge noch ganz oft die Möglichkeit haben werden, diese Glücksbringer zu sehen und somit ihren Glauben an eine neue gute Zukunft nie verlieren werden. Ich hoffe ebenso, dass die Griechen – in oder außerhalb der EU – neue Wege finden werden, die sie wieder an eine Zukunft glauben lassen, denn es ist an der Zeit, dass der „Kot des Teufels“ und das Chaos Europas restlos beseitigt wird.