BOULEVARD-NEWS LESVOS
Der Pelikan von Skala Loutron
18.November 2015 - Fremde Vögel auf Lesvos
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Die Flüchtlinge sind nicht die einzigen illegalen
Einwanderer auf Lesvos. Unzählige Vögel überqueren ohne gültigen Pass
die Ägäis hin zu ihrem Ziel, dem Geburtsort der Sappho. Gegenüber, im
türkischen Nachbarland, gibt es zahlreiche Naturschutzgebiete, und auch
von dort begeben sich einige unserer gefiederten Freunde zu einem
Abstecher auf unsere zauberhafte und relativ ruhige Insel.
Im Frühjahr erwartet hier an den Küstenlinien diese
Immigranten eine stattliche Armee von Vogelbeobachtern, bewaffnet mit
den Kanonenrohren ihrer Kameras. Selbst das Ende der Saison ist nicht
das Ende der unrechtmäßigen Landungen auf der Insel. Erst im nicht so
beliebten Monat November lässt der Flugverkehr der Tiere und ihrer Fans
nach.
Das weiterhin noch sehr schöne Wetter bringt es mit sich,
dass man immer noch ab und an einen dieser braungelben Brummer von
Hornisse bzw. Wespe antrifft, der als nunmehr uraltes Männchen mühsam
durch die Lüfte taumelt. Auf dem Erdboden begegnet man hier und da
tiefbraune Raupen, deren Köpfe, der Natur sei Dank, mit einem Horn
ausgestattet sind, damit sie sich damit ihren Weg durch Massen von
schleimigen Schnecken bahnen können, die diese mit Tau durchtränkten
Tage für maßlose feuchtfröhliche Gelage nutzen.
Das aufregendste Vogelleben spielt sich in dieser Zeit
rundum den Golf von Kalloni ab, wo die Salinen von Skala Kallonis und
Skala Polichnitou zahllosen Vögeln, darunter Schwarzstörche und hunderte
von Flamingos, Kost und Logis gewähren. Hinsichtlich der Flamingos
fragte ich mich vor einiger Zeit schon, ob sie eine Einreisewarnung für
Lesvos erhalten hatten, denn Ende September war noch nicht einer der
rosa Stelzvögel eingetroffen, und auch jetzt stehen dort nur einige
Waghalsige schwankend auf einem Bein. Ihre eventuelle Angst vor
Flüchtlingen wäre unbegründet, denn die landen nicht hier in den
Salzseen und schießen auch keinen Vogel in der Luft ab…
Mit ihrem stattlichen Umfang und Gewicht sind die
Pelikane deutlich robuster und haben bei weitem nicht das feingliedrige
zierliche Erscheinungsbild der weiß-roten Akrobaten. Ihnen scheint es
ziemlich egal zu sein, was zahlreiche Flamingos von der Einreise bislang
abgehalten hat, und sie freuen sich stattdessen, dass dadurch mehr
Garnelen als sonst für ihre Bäuche verbleiben. Letzte Woche wurden 44
Krauskopfpelikane und 4 Weiße Pelikane gezählt.
Auf nicht wenigen griechischen Inseln zählt ein Pelikan
zur Dorfgemeinschaft und wird von den Bewohnern verhätschelt. Auch auf
Lesvos werden sie nur zu gerne gesehen, so wie ein beliebtes
Pelikanpärchen in Skala Kallonis, das von Touristen und Einheimischen
gleichermaßen verwöhnt wurde. Doch es begab sich leider, dass einer der
beiden von einem Auto tödlich verletzt wurde und sein Partner daraufhin
nur wenige Jahre später aus dem Ort des gemeinsamen Glücks verschwand.
Den Pelikan, den Sie auf dem Foto oben sehen, war lange
ein Mitbürger von Skala Loutron, tja, und nun frage ich mich, wo er
abgeblieben ist und wie es ihm wohl geht. Ich möchte dieses Format
nutzen, um einen Aufruf zu starten: Bitte, gewähren Sie all den
Pelikanen schnell Asyl! Bieten Sie Ihnen ein Wohlfühlplätzchen und
kredenzen sie leckeren Fisch, denn eine neue touristische Attraktion
kann Lesvos mehr als gut gebrauchen. Es wäre doch ein Jammer, sie wieder
zurück in die Türkei zu schicken.
Der auffällig orange und schwarz gezeichnete
Monarchfalter zieht nur wenige Entomologen auf unsere Insel. In Amerika
ist dieser jugendstilartige Schmetterling weit verbreitet, aber hier ist
er normalerweise genau so häufig zu finden, wie Flüchtlinge am Nordpol.
Jedoch gerade jetzt, zu einer Zeit, in der so viele Immigranten,
vornämlich aus den arabischen Ländern, nach Lesvos kommen, muss dieser
Tagfalter wohl auch den weiten Weg aus Afrika zu uns gemacht haben, denn
2 dieser Exemplare wurden in den Sümpfen von Messa erspäht.
Ich war doch schon sehr überrascht, zu hören, dass diese
fragilen Geschöpfe ebenfalls zu den illegalen Einwanderern zählen. Die
Monarchfalter sind Weltmeister im Schmetterlingslangstreckenflug: In
Schwärmen legen sie tausende von Kilometern zurück und diese Anstrengung
„nur“ um in den Genuss der Seidenpflanze (Asclepias) zu kommen. Glauben
Sie mir, das wird nicht jedes Flattertierchen überleben, so manch ein
Oldie wird vor Müdigkeit vom Himmel fallen, so dass hauptsächlich die
jüngere Generation den Gewaltflug überlebt.
Freunden, die in der letzten Woche all die vorhandenen
wunderschön anzusehenden Falter beobachteten, kreuzte noch ein Fremdling
den Weg: Ein Prachttaucher, lat. Gavia arctica. Der zweite Teil des
lateinischen Namens lässt durchblicken, das dieser wunderschön
gestreifte Tauchvogel ja wohl die kühleren Gefilde bevorzugt, was zieht
ihn also in so einem warmen November nach Lesvos?
Ich will mal keine Gerüchte in die Welt setzen, dass
dieser Entenvogel gekommen ist, um Flugblätter an die Flüchtlinge
auszuteilen, die sie entmutigen sollen, nach Dänemark oder Schweden zu
gehen. Es ist wohl eher anzunehmen, dass auch dieses gefiederte Tierchen
ein Wirtschaftsflüchtling ist oder von der geringeren Anzahl Flamingos
profitiert und einen preiswerten Taucherurlaub am Golf von Kalloni
gebucht hat.
Ist es nicht faszinierend zu lernen, dass mehr Vögel als
Touristen die Welt umreisen, tausende von Kilometern zurücklegen und das
Recht haben, zahllose Grenzen unbesorgt zu überschreiten? Und der
Mensch? Er braucht einen Pass und selbst der gibt ihm nicht die
geringste Sicherheit, dass er schlussendlich sein selbst gestecktes Ziel
erreichen wird. Manchmal wäre es echt besser, frei wie ein Vogel zu
sein…
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