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BOULEVARD-NEWS LESVOS
Klatschmohn
2.Mai 2015 - Mohnkugeln
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
In den
meisten Ländern der Welt wird der 1. Mai als „Tag der Arbeit“ gefeiert,
so auch in Griechenland, aber in erster Linie ist es hier der „Tag der
Blumen“: Kränze werden geflochten und verteilt, an den Scheibenwischern
der Autos sind Sträußchen geklemmt, und die Griechen strömen zuhauf ins
Freie, um sich an der duftenden Farbenpracht der vielen Blumenfelder in
der Frühlingslandschaft zu erfreuen.
Auch Molyvos
wurde von einem Besucherstrom überflutet, jedoch nicht, weil es mit
prächtigen Blumenwiesen ausgelegt ist, sondern weil dieses
mittelalterliche Städtchen einfach ein Magnet für Tagesausflügler ist.
Nun ja, andererseits ist das Grün auch hier derzeit so übermächtig, dass
nichts es aufhalten kann, es sich selbst durch Stein, Gemäuer und
Kopfsteinpflaster seinen Weg bahnt und Molyvos somit mit einer eigenen
wilden Blumenpracht schmückt.
Die Straßen
zur Inselhauptstadt Mytilini führt vorbei an weitläufigen Wiesenflächen
und Hainen mit unzähligen Ölbäumen, unter deren blassgrünen Blättern die
Natur derzeit Blumenteppiche in allen Farben ausgerollt hat. Es ist die
perfekte Zeit, für die, die nicht wirklich gern spazieren oder gar
wandern, Ausflüge mit dem Auto zu machen.
Mein Tipp:
In der Nähe von Achladeri liegen Blumenfelder, die sich ohne Frage mit
den berühmten holländischen Tulpenfeldern vergleichen können. Das
leuchtendrote Mohnfeld ist ein beliebtes Fotomotiv, aber auch ein oder
zwei einzelne Blüten vor sattem Wiesengrün oder zusammen mit anderen
Frühlingsfarben ergeben ein bezauberndes Postkartenidyll.
Es ist kein
Geheimnis, dass der knallrote Mohn nicht nur der Zierde und Inspiration
dient, sondern auch der Gewinnung von Opium, einer Substanz, die
Schmerzen lindert, Rauschzustände verursacht und einen tiefen süßen
Schlaf schenkt. Ein gefährlicher Stoff, der süchtig macht und zum
sicheren Tod führen kann. Hier Berühmtheiten, die der beruhigenden
Droge verfallen waren: Der römische Kaiser Marcus Aurelius, der
englische Schriftsteller Charles Dickens, der ungarische
Horrordarsteller Bela Lugosi und die weltbekannte Krankenschwester
Florence Nightingale, um nur einige wenige zu nennen.
Bereits die
alten Griechen schätzten vor tausenden von Jahren bereits die
beruhigende und medizinische Wirkung des Opiums. So kennzeichnete häufig
das Symbol einer Mohnblume die Abbildungen ihrer Götter für Schlaf (Hypnos),
Nacht (Nyx) und Tod (Thanatos) und selbst Apollo, Asklepios, Pluton,
Demeter, Aphrodite, Kybele und die ägyptische Göttin Isis wurden oft mit
einem Sträußchen der blutroten Blumen, gebunden zusammen mit Ähren,
dargestellt.
Erstmalig
wird der Mohn im 8. Jahrhundert vor Christus schriftlich benannt. Hesiod,
nach Homer der älteste bekannte griechische Dichter, nennt eine Stadt in
der Nähe von Korinth, die aufgrund ihrer Mohnkulturen den Namen Mekone
(„Mohnstadt“) trägt, wo Prometheus einem Ochsen eine Dosis Mohnsaft
verabreicht haben soll, um die Götter gnädig zu stimmen.
Theophrastos, der griechische Philosoph und Naturforscher, hielt dann in
seinen Werken fest, dass eine Kombination aus Mohnblumensaft und
Geflecktem Schierling (Conium maculatum) zu einem schmerzfreien und
leichten Tod führt und Homer preist in seiner „Odyssee“ die beruhigende
und tröstende Wirkung des Safts an, den Aristoteles als Droge erkannte.
Hippokrates und Theophrastos benannten die verschiedenen Mohnsorten und
Verwendungsmöglichkeiten.
Der Beweis,
dass die alten Griechen schon seit langer Zeit diese Blume als Heil- und
Genussmittel nutzten, erbrachte die Archäologie. So wurde auf Kreta eine
kleine Frauenstatue aus der spätminoischen Kultur (um 1300 v. Chr.)
gefunden (ihr Entdecker nannte sie „Mohngöttin“), welche
Schlafmohnstängel als Zierde auf ihrem Kopf trägt, deren Kapseln
Einschnitte aufweisen, wie sie zur Gewinnung von Opium angebracht
werden. Nach und nach kamen immer mehr solch archäologische Beweise
hinzu, die das Opium als Urdroge auswiesen, insbesondere dort, wo
Priester, Priesterinnen, Könige, Götter und andere mächtige Leute ihr
Wissen nutzten.
Es ist
natürlich nicht so, dass Lesvos übersät ist mit Mohnblumen, aus denen
man Opium gewinnen könnte. Der „Papaver soniferum“, Schlafmohn genannt,
hat einen schwarzgrünen Stängel und die Blütenblätter variieren von weiß
bis rosa über lila und dunkelrot. Er kommt schon auf der Insel vor, aber
nicht in solch einer Menge, um eine Opiumhöhle damit unterhalten zu
können.
Die
häufigste Art auf der Insel ist der rote „Papaver rhoeas“, bekannt als
Klatschmohn. Als kleinere Varianten davon ist der Sandmohn („Papaver
argemone“) und der Saatmohn („Papaver dubium“) in der Insellandschaft
anzutreffen. Ausschließlich an den Küsten erfreut das Auge der gelbe
Hornmohn („Glaucium phoeniceum“).
Ich nehme
mal an, dass es schon einige Opiumsüchtige auch auf Lesvos geben wird,
aber produziert wird es hier nicht. Gab es Schlafmohn im antiken
Griechenland in Hülle und Fülle, so ist sein Vorkommen in heutiger Zeit
rar. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass der herrliche Mohnsamen in
der griechischen Küche nahezu unbekannt ist, wird höchstens mal ein Brot
damit verziert.
Früher
verhalf man Babys mit einigen Tropfen Saft des gewöhnlichen Mohns in den
Schlaf, in dem geringe beruhigende Substanzen enthalten waren. Ob
Mütter das heutzutage noch praktizieren, wage ich zu bezweifeln.
Schon oft
habe ich Ihnen davon erzählt, dass man hier auf der Insel gerne wildes
Blattgemüse isst, dass in der freien Natur gesammelt und „Chorta“
genannt wird: Das Grün der Pferdeblumen, Mariendisteln und Brennnesseln,
um nur drei Beispiele von den unzähligen Pflanzen zu nennen, die essbar
und bei den Griechen sehr beliebt sind. Hauptsächlich sind es die jungen
frischen Blätter, die gepflückt und zu einem gesunden und auch
köstlichen Mahl zubereitet werden, so auch die robusten des kleinen
Klatschmohns (vor der Kapselbildung sind seine frischen Blätter auch roh
essbar).
In einer
kleinen Taverne in Agiassos überraschte man mich nicht nur alleine mit
einer frisch gepflückten Morchelart (Schlauchpilze, eine Delikatesse),
sondern sie hatten dort auch „Mohnkugeln“ im Angebot. Diese enthielten
zwar kein Opium, aber süchtig macht das griechische Essen schon, vor
allem dann, wenn man ein solches Plätzchen findet, wo aus frischen
gesunden Zutaten aus der Natur ein solches Überraschungsmenü gezaubert
wird.
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