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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
19.September 2011 - Perlen aus
dem Meer
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Schnecke und Schneckenhaus, für jedermann gedanklich untrennbar, aber
ein jeder weiß auch, wie das Tierchen ohne seine Behausung aussieht: Ein
länglicher weicher Körper, am Kopf zwei Fühler, nach oben ragend, wie
Antennen… Aber wissen Sie auch, welche Kreaturen in den Muscheln gehaust
haben, die Sie am Strand finden?
Nun, ich kann Ihnen nur sagen, ich war sprachlos, als ich eines Tages
eine Triton-Muschel zu sehen bekam, die ein Fischer just aus der Ägäis
gefischt hatte, und aus der ein recht merkwürdiges Wesen gekrochen kam:
Es hatte ein Hütchen auf!
Die
Tiere, die dafür Sorge tragen, dass wir uns an der Muschelsuche am
Strand erfreuen können, sind Weichtiere, auch
Mollusken genannt. Vereinfacht erklärt, bestehen sie aus 4
Teilen: Kopf, Fuß, Eingeweidesack und Skelettmantel (die Muschel).
Letzteren tragen sie an der Außenseite, und er dient ihnen als
Schutzschild vor Angriffen ihrer natürlichen Feinde.
Mögen die bunt gefärbten Schalentiere harmlos und wunderschön aussehen,
so sind doch viele von ihnen nicht wirklich lieb, denn sie machen sich
auf die Jagd nach anderem Meeresgetier, und dabei machen sie selbst vor
ihren Artgenossen nicht halt. So verzehrt das „Tritonshorn“ (Charonia
tritonis) Stachelhäuter, womit zu seiner Beute Seesterne zählen. Er
schleicht sich an sein Opfer heran, reißt dessen Haut auf und betäubt es
mit seinem sauren Speichelsekret, welches den schönen Seestern lähmt und
zu einer wehrlosen Mahlzeit macht. Ganz so einfach ist der Beutezug
jedoch nicht, denn der Seestern, selbst ein Raubtier, scheint einen Sinn
zu besitzen, der ihn hören oder spüren lässt, wenn das Tritons-Monster
sich nähert, versucht zu fliehen, und es kommt zu einer atemberaubend
anzusehenden Unterwasser-Verfolgungsjagd, bei der jedoch selbst der
größte unter ihnen, der Dornenkronenseestern (Acanthaster planci),
unterliegt, da das Tritonshorn schneller ist. Wow! Können Sie sich
dieses Bild vorstellen: Da ist dieses wunderschöne Tier, das sein
prächtiges riesiges Gehäuse mit sich führt, und einem Seestern
nachsetzt, der all seine Füße nutzt, um ihm zu entkommen…
Es
machen Geschichten die Runde, von der größten aller bekannten Muschel,
der „Großen Riesenmuschel“ (Tridacna gigas), die 100 Jahre alt werden
kann und mit ihrer Größe von bis zu 1,40 Metern, so manch einen Taucher
geschnappt haben soll. Tja, wenn man sieht, welch ein Tier in einer
solchen Muschel haust, neigt man schon dazu, zu glauben, dass, wenn es
einen Arm erwischt, diesen festklammern kann und der Mensch nicht mehr
wegkommt und ertrinkt…aber es sind nur Ammen- und Schauermärchen. So
soll die Liebesgöttin Venus aus solch einer Muschel entsprungen sein,
dargestellt von dem italienischen Maler Sandro Botticelli auf seinem
weltberühmten Gemälde „Die Geburt der Venus“. Nun kann aber der
Künstler die Muschel auch als Metapher genutzt haben, wurde doch die
Muschel früher als Symbol für die Vagina gesehen, denn wir wissen doch
alle, dass Venus (griech. Aphrodite = Meerschaumgeborene) aus dem Schaum
der Wellen vor Zypern geboren ist.
Aber es gibt sie schon, die Weichtiere, die eine Gefahr für die
Menschheit darstellen können. So gibt es eine beträchtliche Anzahl
Conus-Schalenbewohner (Kegelschnecken), die Sie mit ihrem Giftzahn (ja,
ernsthaft, googeln Sie mal, die haben wirklich eine Art Giftzahn!)
tödlich verwunden können. Nun, da müssen Sie fein Obacht geben, wenn Sie
so eine Gehäuse mit Tier vom Meeresboden klauben.
Andererseits essen wir natürlich auch Schalentiere, wie Austern, Jakobs-
und Venusmuscheln, etc., die für viele Menschen reine Delikatessen sind.
In der Vergangenheit waren Schalentiere auch noch für andere Zwecke
dienlich. So fertigten die alten Griechen und Römer aus dem
Drüsensekret der „Purpurschnecke“ (Bolinus brandaris), auch „Brandhorn“
genannt, den Farbstoff Purpur. Ein teures Zeug, wenn man bedenkt, dass
für 1 Gramm reinen Purpurs 10.000 Schnecken aus dem Meer gefischt werden
mussten. Bei dem Herstellungsprozess wurde den noch lebenden Tierchen
eine Drüse entfernt, 3 Tage in Salz gelegt, gereinigt und dann durch
Kochen in Urin eingedickt (diesen fürchterlichen Gestank kann man sich
vorstellen). Ganze Gebirge von Schalen sind später gefunden worden, so
dass nun nachzuvollziehen ist, wo die Farbe in der Antike produziert
worden ist. Es ist ein Wunder, dass das Tier in dieser Ära nicht
ausgerottet wurde, denn sie sind noch immer auf dem Meeresboden zuhause.
Was
ich nicht wusste, ist, dass man einst Muschelseide produzierte, und zwar
aus den gold schimmernden Ankerfäden der „Edlen“ oder „Großen
Steckmuschel“ (Pinna nobilis Linneaeus). Bei der Säuberung von Muscheln,
kommen einem hartnäckige Haarbüschel entgegen, die es zu entfernen gilt.
Mit diesen Haaren halten sich die Muscheln fest, und bei dem Ausmaß der
„Großen Steckmuschel“ (bis zu 90cm) kann man sich vorstellen, was sie
für lange „Drähte“ produziert. Die Ernte von 4000 Tieren war nötig, um 1
kg glänzende Muschelseide zu weben, feiner, wärmer und leichter,als die
übliche Seide. In China nannte man sie „Meerjungfrauenseide“, und manch
einer glaubt, dass man in Ägypten die Mumien damit kleidete.
Diese Geschichten stehen alle nicht in dem Buch „Schelpen van de Griekse
eilanden“ von Jan Veltkamp und Sylvia van Leeuwen, dafür
Kurzbeschreibungen und Fotos von 80 Muscheltypen. Ein schönes Werk über
diese Lebewesen, die sie hier auf Lesvos und anderswo finden können.
Noch niemals zuvor hatte ich vom „Linksdrehenden“ und „Rechtsdrehenden
Schmuckkästchen“ (frei übersetzt, Anm. der Übersetzerin) gehört (Pseudochama
gryphina, Chama gryphoides), obwohl sie sich in meiner Sammlung
befinden. Es sind Muscheln, die unregelmäßig geformten Austernschalen
gleichen, jedoch kleiner sind, und eine tiefe Unterschale haben, mit
einer Art Klappe als Deckel… sehr seltsam. Das Buch gibt ebenfalls
Auskunft über die Fundorte der jeweiligen Muschelsorte, und demnach habe
ich das „Linksdrehende Schmuckkästchen“ am Golf von Kalloni gefunden und
für das rechtsdrehende Exemplar musste ich mich auf zum Golf von Gera
machen.
Die
von Mythen umwebte „Große Riesenmuschel“ kommt hier nicht vor aber die
verschiedensten Venusmuscheln. Die vielen Unterarten von Venus- oder
Teppichmuscheln, etc., sind nicht immer zu determinieren, aber gut zu
erkennen und zu bestimmen sind z.B. das „Brandhorn“, die Kegelschnecken
und die „Gemeine Wendeltreppe“.
Die
„Edle Steckmuschel“ oder „Große Steckmuschel“ ist auf Lesvos noch
vielfach am Golf von Gera und Golf von Kalloni vertreten. Worüber das
vorgenannte Nachschlagewerk für Muschelsucher nicht Auskunft gibt, ist,
dass dieses riesige Schalentier auch eine Perle produzieren kann. Perlen
entstehen dadurch, dass sich in Austern oder anderen Weichtieren ein
Fremdkörper einnistet, vorausgeht meist eine Verletzung des Tieres,
worauf es mit der Absonderung einer kristallenen Substanz, dem Perlmutt,
reagiert. Schicht um Schicht legt sich dieses um den Eindringling und
formt so die Perle. Zu erwähnen ist noch, dass die „Große Steckmuschel“,
aufgrund von Überfischung und Umweltverschmutzung, inzwischen vom
Aussterben bedroht ist. Offenbar war das im Jahre 2002 noch nicht der
Fall, als der Verlag Indiktos/Athen das Buch „Panorexia – Ouzo
Appetisers from Lesvos“, von Stratis P. Panagos, herausgegeben hat, denn
darin ist das Rezept „Pinokeftedes“ von gerade diesem Tierchen
enthalten:
„Menge die klein geschnittene Muschel zusammen mit Trachanas (eine Art
Weizen), einem Ei, Zwiebel, Brot, etwas Ouzo und Oregano, forme daraus
Bällchen und brate sie in Olivenöl.“
So,
aber da man diese Muschelart nun leben lassen soll, halten wir uns
besser vorläufig an legale Keftedakia (Hackbällchen) mit Venusmuscheln (kidonia),
so, Venusbällchen eben...klingt sowieso viel schöner!
Mehr Informationen zu:
"Schelpen
van de Griekse eilanden"
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