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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
13.September 2011 - Kampf gegen Dämonen
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Der
griechische Schriftsteller Stratis Myrivilis wurde 1890 auf Lesvos, in
Sykaminia, geboren. Er wuchs auf in diesem Dorf und besuchte in Mytilini
ab seinem 15. Lebensjahr das Gymnasium. 1912 zog es ihn dann zum
Jurastudium nach Athen, jedoch sollte dies nicht lange sein, denn als in
diesem Jahr der Balkankrieg ausbrach, meldete er sich freiwillig zum
Militär und diente dann 10 Jahre lang als Soldat. Zurück auf Lesvos,
fand er die Insel befreit von den Türken und überfüllt von Flüchtlingen
aus dem untergegangenen Osmanischen Reich vor.
Gleich nach seiner Rückkehr schrieb er sein erstes Werk, „Das Leben im
Grabe“, welches die Grauen eines Soldatenlebens im 1. Weltkrieg auf den
Schlachtfeldern beschrieb. Sein dritter Roman, „Die Madonna mit dem
Fischleib“, über ein Findelkind in einem kleinen Dorf, machte das
Fischerdorf Skala Sykaminia berühmt. Sein im Jahre 1933
veröffentlichter zweiter Roman, „Die Lehrerin mit den Goldaugen“, hat
von beiden etwas zum Inhalt: Die Grausamkeiten des Krieges und das Leben
ein einer kleinen Gemeinschaft. Die Geschichte spielt in einem fiktiven
Dorf auf Lesvos, mit dem Namen „Megalochori“ (das wirkliche Dorf
Megalochori liegt oberhalb von Plomari, in den Bergen), und könnte auch
Molyvos sein, denn es liegt am Meer und hoch über ihm thront eine Burg.
Auch wird behauptet, dass eine Lehrerin aus Molyvos Modell gestanden
hat, für „Die Lehrerin mit den Goldaugen“. Sie ist die Witwe des
Kriegshelden Vranas und die schönste Frau des Dorfes.
Leon Drivas, der die Hauptrolle in diesem Roman spielt, ist an Vranas
Seite, als dieser in einem Militärkrankenhaus stirbt. Am Sterbebett
verspricht er ihm, dessen Frau Sappho, die in dem Dorf wohnt, wo Drivas
Familie ein Sommerhaus am Meer hat, einige persönliche Sache zu
übergeben. Zurück aus dem Krieg, geht Leon Drivas nun für den Sommer mit
seiner Schwester nach Megalochori und trifft dort auf die schöne Sappho
und dann, nun raten Sie mal… richtig, er verliebt sich in sie.
Beschrieben werden seine Gefühlskämpfe, denn er will nicht zu seiner
Liebe stehen, da es ja nun mal die Frau seines Freundes und
Kriegskameraden ist. Na, und so eine Liebesaffäre in einem Dorf, ist
wahrlich ja auch nicht so einfach, dort, wo alle Häuserwände Augen und
Ohren haben, man sehr traditionell eingestellt ist und nicht akzeptiert,
dass die Witwe eines Kriegshelden so schnell wieder an den Mann kommt.
Darüber hinaus ließ die schöne Sappho alle Männerherzen schneller
schlagen, was bei den anderen Frauen, die aus lauter Neid und Eifersucht
sowieso schon alles unternahmen, um sie schlecht zu machen, noch Öl auf
dem Feuer war.
Um
1930 spielte die Geschichte also, und auch 50Jahre später, hat sich in
einem Dorf hinsichtlich Klatsch, Tratsch und Verleumdung nicht viel
geändert, wie Sie in dem gerade erschienenen Buch von Peter van Ardenne
mit dem Titel „Verspreide Opklaringen“ nachlesen können. (Anm.der
Übersetzerin: Leider nicht in deutscher Sprache, den Titel übersetze ich
mal mit „Teilweise Aufheiterungen“ oder „Lockere Bewölkung“). Es ist die
Geschichte von Rudolf, einem jungen Mann aus den Niederlanden, der in
den 80er Jahren nach Lesvos ging, um den Kampf gegen den Dämon Alkohol,
aufzunehmen. Eine Freundin hatte ihm den Tipp gegeben, der Gastronomie
der Großstadt, in der Bier und Genever nur so in Strömen fließen, den
Rücken zu kehren und gegen ein von der Sonne verwöhntes Eiland
einzutauschen. So kam der einsame Rudolf per Zug und Schiff nach Lesvos
und schlussendlich nach Molyvos.
Tja, Genever gab es hier nun mal wirklich nicht, aber Rudolf musste sehr
schnell erkennen, dass stattdessen genau so viel Ouzo in den Tavernen
über den Tresen ging, und sein Vorhaben, auf der Insel endlich ein Buch
über die Psychotherapie zu schreiben, fiel erst einmal ins Wasser, bzw.
in den Anisschnaps.
Rudolf ist ein Fremder in dem griechischen Dorf, und darum stört es ihn
wenig, dass die Bewohner genauestens darauf achten, welches Mädchen
morgens sein Haus verlässt und wie oft er, nach einer durchzechten
Nacht, betrunken nachhause torkelt. Ihn interessieren auch nicht die
Sehenswürdigkeiten der Insel, die seine Freundinnen besuchen wollen, ist
es doch, seiner Meinung nach, wesentlich schöner und angenehmer eine
Ouzo-Party am Strand zu verleben, als den „Versteinerten Wald“ oder
Eressos zu besichtigen.
Schnell wird er aufgenommen in eine Gruppe „bunter Vögel“, die das
Debattieren lieben, vor allem und noch besser nach dem Genuss so mancher
Flaschen Ouzo, das Lieblingsthema dabei: Die Revolution. Aber genau so,
wie die Figur Leon in dem Buch von Myrivilis, den Kommunismus ablehnt,
will auch Rudolf von einer Revolution nichts wissen: Beide Romanfiguren
sind unpolitisch: Leon wegen seiner Kriegserfahrungen und der junge
Niederländer, weil er einfach an nichts glaubt.
„Verspreide
opklaringen“ ist ein gutes Buch über jemanden, der vom Alkohol abkommen
will, aber dabei durch die Hölle geht. Eingebunden ist die Geschichte in
das bezaubernde Molyvos der 80er Jahre, welches damals noch spärlich von
Touristen besucht war und wo es nur ein Hotel von Bedeutung gab, das „Delfinia“.
Die meisten der heutigen Straßen, z.B. die in Eftalou, waren seinerzeit
noch staubige Pfade, die Bewohner des Dorfes zwar sehr gastfreundlich,
aber doch sehr schnell mit Klatsch, Tratsch und die Verurteilung von
Ausländern dabei, die, in ihren Augen, ein solches Lotterleben führten.
Verständlich, wenn man bedenkt, dass selbst Besucher aus dem „fernen“
Athen als Fremdling angesehen wurden.
Kam
damals jemand von außerhalb auf die Insel, so meist, um lange Zeit zu
bleiben. Sie waren nicht alle, wie Rudolf, mehr wie Saskia (eine seiner
Freundinnen), ihr Vater und dessen Freunde: Schriftsteller,
Wissenschaftler und Philosophen, die aufgingen im Inselleben und den
Alkohol weise zu dosieren wussten. Viele von diesen Lesvos-Gästen kommen
immer noch regelmäßig Nach Molyvos und sind bekannt unter den Bewohnern.
Peter von Ardenne ist auch zurückgekommen und hat nun seinen Traum,
einen Roman zu schreiben, realisiert. Er selbst sagt über diesen, dass
er nicht kompliziert sei, ein Buch über einen zynischen Menschen, der
langsam die Konsequenzen seines Handelns erkennt. Wenn man bedenkt, wie
viele Flaschen im Verlauf dieser Geschichte geleert werden, ist es
verwunderlich, dass nie der Moment kommt, dass man genug hat, von
Rudolf, der immer tiefer fällt und den Strick um seinen Hals immer enger
zieht mit seinem Vorsatz: „Nur noch ein Glas, dann höre ich auf!“ So
zynisch, plump und schroff er auch ist, er wird die Sympathie der Leser
gewinnen, und ist er auch regelmäßig zu benebelt vom Alkohol, um die
Schönheit der Insel wahrzunehmen und zu genießen, so strahlt doch die
Magie des Insellebens aus den Seiten des Buches.
Leon hatte die Dämonen des Krieges zu bekämpfen, wie den Tod seines
Kameraden Vranas, genau so hart wie Rudolf gegen sein Alkoholproblem
angehen musste. Welchen Dämonen die Lehrerin, die Modell stand für die
„Lehrerin mit den Goldaugen“ zum Gegner hatte, wissen wir nicht. In „Verspreide
Opklaringen“ steht beschrieben, wie Sie zu Tode kam, tragisch und
allemal einen Roman wert.
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