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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Marlboro-See
(Foto: Smitaki)
31.Januar 2012 - Champignons gefüllt mit Mariendisteln
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Seit einigen
Wochen hat ein richtiger Winter auf Lesvos seinen Einzug gehalten.
Bereits drei- oder viermal sah die Spitze des Lepetimnos schon wie
gezuckert aus, und Agiassos hat bereits eine gehörige Ladung Schnee
abbekommen, ebenso, wie Megalochori und andere Gebiete in der Mitte und
im Westen der Insel. Selbst hier nach Eftaloú, das so gar nicht dafür
bekannt ist, weißbedeckt dazuliegen, kam der Schnee an einem frühen
Morgen. Derzeit rast ein strenger sibirischer Wind über das Eiland, die
Temperaturen liegen gefühlt so um die -10 Grad, während die
Quecksilberanzeige „nur“ um den Nullpunkt steht.
Beim
Wachwerden heute morgen erblickte ich eine rauchende See. Im ersten
Winter, den ich hier auf Lesvos verbrachte und dieses Phänomen erleben
durfte, gab ich ihm den Namen „Marlboro-See“. Diese Rauchfahnen auf dem
Meeresspiegel entstehen durch das Zusammentreffen einer eiskalten Luft
und doch noch relativ warmem Wasser. Da ich seinerzeit der griechischen
Sprache noch nicht so mächtig war, um diese Naturerscheinung den
Nachbarn zu erklären, sagte ich ihnen einfach, dass das Meer gerade
Marlboros rauchen würde.
Derweil das
Meer sich eine Zigarette nach der anderen ansteckt und ich mich gegen
die Eiseskälte warm einpacke (ich muss ja schließlich mit den Hunden
raus), geht aber auch der Frühling in die Offensive. Tja, und das ist
es, was mich am griechischen Inselwinter so begeistert: Es ist nicht nur
allein Winter, sondern immer auch ein bisschen Frühling.
Der Anlauf
des Winters war trocken, und noch immer ist nicht genug Regen gefallen,
um all den durstigen Pflänzchen, die sich im Erdreich verstecken, genug
Energie zu geben, dass sie sich empor wühlen können. So kamen die
Anemonen, die in vergangenen Jahren bereits im Dezember ihre Köpfe in
die Luft streckten, sehr zögerlich zur Blüte. Erst letzte Woche, als
eine Ladung Wasser auf sie nieder prasselte, beschlossen sie massiv,
ihre Farbenpracht in der winterlichen Landschaft zu verbreiten.
Die
Trockenheit brachte ebenfalls mit sich, dass wir kaum Pilze hatten, ja,
selbst die Wiesenchampignons, die normalerweise dem Winterwetter
trotzen, waren kaum zu finden, und erst jetzt, nach dem Regen der
letzten Woche, schossen sie glücklich aus dem Boden und ich konnte
endlich ein Säckchen voll ernten.
Auch die
Mandelblüten sind gegen das kalte Wetter angetreten und entfalten kühn
ihre zarten rosigen Blätter im eisigen Wind. Ich hoffe, dass ihre
Fruchtknoten, die sie in ihren Blüten verborgen halten, frostbeständig
sind, denn die Wettervorhersage kündigt für die nächsten Tage an, dass
die Temperaturen weit unter Null Grad fallen werden.
Mitten in
die eisige Winterlandschaft hinein, versprühen Orangen-, Zitronen- und
Mandarinenbäume die leuchtenden Farben ihrer Früchte, die jetzt für die
Ernte reif sind, um uns Menschen mit genügend schützendem Vitamin C
gegen die anhaltende Kälte zu versorgen.
Auch das
Wildgemüse (Chorta) hat sich zu unserem Nutzen an die Erdoberfläche
gemacht. Die jungen Triebe der Brennnesseln eignen sich vorzüglich, um
sie in einem Omelett zu verarbeiten, und vorige Woche habe ich noch mehr
stacheliges Kraut gepflückt, um es zu essen: Das frische Blattgrün der
Mariendistel.
Die
Mariendistel ist sehr gesund! Sie stärkt Herz und Kreislauf, und ihr
Wirkstoffkomplex Silibinin soll auf den Gallenfluss und somit auf die
Verdauung anregend wirken, ja, selbst die Leber schützen, wenn man mal
gut zur Flasche greift. Den Namen verdankt die Pflanze ihren weißen
Flecken und Adern der Blätter, welche einer alten Legende nach von der
Muttermilch der Jungfrau Maria stammen, die vergossen wurde, als sie mit
dem Jesuskind vor den Römern floh.
Mariendisteln erreichen im Sommer bis zu 2 Meter Höhe. Ihre großen
grün-weiß marmorierten Blätter sind recht dornig gezähnt, und selbst
die anfänglichen Rosetten, woraus der Stängel mit den lila gefärbten
Korbblütenständen, auf die vor allem Schmetterlinge ganz jeck sind,
wachsen werden, können richtig bös stechen. So war es für mich von
vornherein klar, dass es nicht gerade eine schöne Beschäftigung wird,
diese Disteln fürs Essen zu sammeln, aber nach und nach kriegt man doch
ein Händchen dafür, den Stacheln zu entgehen. Tja, aber dann kommt mit
dem Säubern die nächste Herausforderung. Die Rosetten liegen nahezu
platt auf dem Boden, so dass die geschnittenen Pflanzen mit ziemlich
viel Erde behaftet sind und eine aufwendige Vorwäsche nötig haben, bevor
man sie zum Kochen ins heiße Wasserbad gibt. Fazit: Handschuhe
anziehen! Im Internet las ich ein Rezept, welches vorgab, die Dornen
abzuknipsen, was keine schöne Aussicht war, denn die kleinen Rosetten
haben eine Menge Blätter, mit noch mehr Stacheln, und um sie zu einer
Mahlzeit zu bereiten, muss man schon recht viele davon haben. Mir stand
nicht wirklich nicht der Sinn danach, stundenlang biestige Widersacher
zu entfernen, denn das Pflücken war schon eine schwierige und
zeitraubende Aufgabe. Glücklicherweise kann ich im Nachhinein nur sagen,
dass die Person, die das Rezept aufgeschrieben hat, niemals wirklich
Mariendisteln zubereitet hat, denn die Dornen wurden durch das Kochen
streichelzart und glitten weich, wie Butter, die Kehle hinunter.
Nach der
aufregenden Vor- und Zubereitung der Disteln, entfernte ich von einigen
großen Champignons (die Wiesenchampignons waren zu klein, um sie zu
füllen) die Stiele, hackte diese fein und ließ sie in etwas Olivenöl und
Speck anbraten. Auch die Hütchen fügte ich kurz bei, bis sie etwas
eingegangen waren, nahm sie dann heraus und stellte sie beiseite. Dafür
kamen jetzt die fein geschnittenen Mariendistelblätter zu Pilzstiele und
Speck. Alles ließ ich noch einmal durchbrutzeln und würzte mit Pfeffer,
Salz, Knoblauch und Thymian. Dieses Gemisch füllte ich dann in die
Pilzhüte, und voilà: „Champignons mit Mariendistel“ – eine herrliche
Beilage oder ein leckeres Häppchen zum Ouzo und mit Sicherheit ein Muss,
wenn es nicht bei einem bleiben soll.
Na, und nun
sehen Sie, dass der Griechische Winter nicht nur allein Kälte im Angebot
hat…
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