|
BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Skala Sikaminéas
13.Mai 2009 - Die Meerjungfrau von Sikaminéa
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Eines der
populärsten Touristen-Fleckchen auf Lesvos ist das reizvoll gelegene
Küstenörtchen Skala Sikaminéas. Der Hafen mit dem kleinen weißen
Kirchlein auf dem Felsen, mit einem Blick über die bunten schaukelnden
Fischerboote (und bis hin zur Türkei) ist so malerisch, dass keine der
Tavernen rund um den Hafen in der Saison Mühe hat, ihre Tische besetzt
zu bekommen.
Für die
griechischen Besucher gibt es noch einen anderen Grund, herzukommen:
Hier spielt der Roman „Die Madonna mit dem Fischleib“ (im Original „He
panagia he gorgona“) des Schriftstellers Stratis Myrivilis, der 1890 in
Sikaminéa geboren wurde. Er besuchte in Mytilini das Gymnasium, bevor er
1912 in Athen ein philosophisches und juristisches Studium begann. Als
im selben Jahr der Balkankrieg begann, meldete Myrivilis sich freiwillig
und war dann 10 Jahre Soldat. Die Kriegserlebnisse prägten ihn
entscheidend, so dass er als überzeugter Pazifist nach Lesvos
zurückkehrte und mit dem Schreiben begann. 1933 erschien sein erster
Roman „Die Lehrerin mit den Goldaugen“, der von Sappho handelt. Sein
bekanntestes Werk wurde 1949 veröffentlicht. Er schrieb „Die Madonna mit
dem Fischleib“ als er in Athen wohnte aber sein Herz immer noch auf
seiner Insel weilte.
Die
Geschichte beginnt 1922 mit dem alten Kapitän Lias, der vorübergehend in
dem Kirchlein auf dem Felsen wohnte. Eines Tages verschwand er,
hinterließ jedoch das rätselhafte Wandgemälde der fischleibigen Madonna.
Die Dorfbewohner waren zunächst irritiert über das tief befremdliche
Bild, begannen dann aber doch schnell, davor Kerzen zu entzünden,
Weihrauch zu spenden und zur Fisch-Madonna zu beten. Einen Tag nach dem
Verschwinden des Kapitäns, liefen Boote voller Flüchtlinge im Hafen von
Sikaminéa ein. Niemand von ihnen sagte ein Wort über die schrecklichen
Dinge, die sie in ihrem geliebten Anatolien erlebt hatten. Neue Häuser
mussten für die Neuankömmlinge gebaut werden, und da die meisten von
ihnen Fischer waren, siedelte man sich um den Hafen an. Somit entstand
Skala Sikaminéas. Als Zeitzeuge steht immer noch der riesige
Maulbeerbaum dort, worunter sich in dem Roman von Stratis Myrivilis das
Kafenion von Fortis befand, dem Paten von der Hauptperson, dem Mädchen
Smaragdi. Heute ist an diesem Platz die Taverne „I Skamnia“ (übersetzt:
Maulbeere).
Weiter geht
die Geschichte mit dem Fischer Varuchos, der eines Tages nach Hora (Mytilini)
übersetzte. Als er dort alles erledigt hatte und ziemlich angetrunken
den Rückweg antrat, entdeckte er während der Meerfahrt in seinem Boot
einen Säugling. Wie eine Rose erblühte das Mädchen mit den grünen Augen
und wuchs inmitten von Unkraut auf. Die Dorfbewohner spürten immer, dass
sie nicht eine von ihnen war. Die uralte Permachula, Trägerin und
Übermittlerin volkstümlicher Weisheiten, welche die Erinnerung an
mythische Zeiten wach hielt, hatte eine Erklärung für das Fremde: Sie
sah in Smaragdi die Tochter einer Nixe, die einen Fischer verführte.
(Interessiert Sie das Buch, so können Sie es problemlos mit einem
Mausklick bestellen
..\Literatur\Fischleib-Madonna.htm)
Meerjungfrauen sind wunderschöne Geschöpfe, aber wenn man ihren
Verführungskünsten unterliegt, so ist dies einem Todesurteil gleich.
Permachula wusste das, denn in einer stürmischen Nacht hörte sie selbst
den Gesang der Wasserwesen und kannte viele Geschichten über junge
Männer, die nach einer Begegnung mit diesen gefährlichen Gorgonen nie
wieder zu sich selbst fanden.
In der
griechischen Mythologie waren es meist die Sirenen (halb Frau, halb
Vogel), die mit ihrem süßen Gesang versuchten, Schiffsleute – so auch
Odysseus – zu verführen. Alle Seeleute, die sie hörten, wurden von einem
Wahn befallen und kenterten. Odysseus, der Schlaue, fand einen Ausweg:
Er befahl seinen Männern, sich Wachs in die Ohren zu stopfen und ihn
sollten sie am Mastbaum festbinden und unter keinen Umständen befreien.
Auch in der Argonauten-Sage werden die Sirenen erwähnt. Sie konnten den
Ungeheuern entkommen, weil auch Orpheus an Bord war, der mit seinem
Gesang die Sirenen übertönen konnte.
Skala
Sikaminéas, das Dorf der Meerjungfrau, lockt auch in der heutigen Zeit
die Menschen an. Nur allzu gern lässt man sich verführen, und es ist
nicht schwer, sich in das pittoreske Dörfchen zu verlieben. Die sanft im
Hafenbecken schaukelnden Fischerboote, das fröhliche Klingeln der Masten
im Wind, der Geruch... all das versetzt sie schnell in Myrivilis´
Geschichte von dem schönen Mädchen mit den grünen Augen. Gekonnt
beschreibt der Autor das alte griechische Inselleben, die Natur und
bringt einem die Mentalität der Menschen nah. Geschickt verknüpft er die
Vergangenheit mit der Neuzeit, und wahrscheinlich war das frühere
griechische Leben gar nicht so sehr anders, wie das heutige. Wie sagt
der Lehrer Augustinus wehmütig „Wenn nur ein Teil Griechenlands
unverdorben bleibt, so ist das dem einfachen ungebildeten Volk zu
verdanken..“
Steht man
vor der Panagia Gorgóna (die entsprechende Ikone gibt es nicht mehr,
sollte sie je dort gewesen sein), kann man träumend über das hellblaue
ägäische Meer schauen und wenn man Glück hat sieht man sie... nein,
nicht die Meerjungfrauen, sondern Delfine, die mit den Wellen spielen.
Nixen findet man auch, jedoch nur in den Souvenirshops. Aber es gibt
noch andere magische Erscheinungen: Wenn eine scharfe Brise weht und das
Meer am Strand aufschlägt, dann kann man mit etwas Phantasie die
Hippocampusse sehen. Der Hippocampus ist ein
Vorne-Pferd-hinten-Fisch-Fabeltier. Zwei Hengste von ihnen zogen auch,
der Mythologie nach, den Wagen des Meergottes Poseidon. Tja, und wenn
ein richtig heftiger Sturm über das Meer braust und die Wellen geißelt,
dann sieht man auch die Nereiden, die Begleiterinnen des Poseidon, wie
sie auf dem Rücken der Pferde sitzen.
Die
Seepferdchen haben ihren Namen dem Hippocampus zu verdanken. Lange Zeit
hatte ich gedacht, dass diese Meeresbewohner nur in Märchen zu finden
seien. Wie auch immer, sie existieren und schwimmen frei in warmen
Meeresgewässer. Die Chinesen fangen sie, um aus ihnen ein Liebeselixier
zu bereiten, und hier auf Lesvos schweben Sie im Seegras im Golf von
Kaloni.
Ein Freund
von uns ist Fischer, und wenn er seine Netze einholt, so findet er sie
regelmäßig darin. Sie sind so empfindlich, das selbst, wenn er sie
unverzüglich wieder ins Wasser setzt, sie keine Überlebenschance haben.
So trocknet er sie in der Sonne, und ich habe bereits eine kleine
Sammlung von Seepferdchen. So magisch sehen sie aus, dass ich immer noch
denke, sie seien geradewegs einem Märchenbuch entsprungen...
Copyright ©Julie Smit 2009 |