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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Steinpilz
23.November 2009 - Pilzalarm
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Eigentlich sollte es üblich sein, einen „Schön-Wetter-Alarm“ auszurufen,
wenn Tage voller Sonnenschein und strahlendblauem Himmel, wie derzeit
auf Lesvos, im Anmarsch sind, damit ein jeder die Möglichkeit hat, ins
Flugzeug zu steigen, um wie wir, diese prachtvolle Zeit und die Insel in
ihrer unbeschreiblichen Schönheit zu genießen. Na, vielleicht nicht
jeder, aber auf jeden Fall die begeisterten Wanderer, denn für
Strandliebhaber ist es doch ein wenig zu kühl. Aber wenn ich ehrlich
bin, möchte ich auch gar keine Touristenströme dazu animieren, sich auf
den Weg hierher zu machen, denn außer des herrlichen Wetters, ist ein
weiterer angenehmer Aspekt die Ruhe, die Lesvos in dieser Jahreszeit
ausstrahlt. Nur ab und an kommt ein Auto vorbeigefahren, ansonsten sind
die einzigen Geräusche, die diese Stille stören, Stimmen von
unsichtbaren Menschen, die in den Hainen Oliven ernten, das rhythmische
Schlagen ihrer Stöcke gegen die Bäume und das Herunterplumpsen der
Früchte. All das sind Klänge, die schon seit Jahrhunderten diese Insel
erfüllen müssen und die keineswegs störend, sondern angenehm beruhigend
sind.
Ich
rede mit Freunden oft über einen eventuellen Wintertourismus auf Lesvos,
und wenn es so wie jetzt ist, dass die Sonne die Insel gar nicht
verlassen will, dann kann ich mir diese Möglichkeit durchaus vorstellen,
aber zu bedenken ist, dass man in den dunkleren Monaten vollkommen vom
Wetter abhängig ist. Die wenigen Menschen, die in diesem Monat hier
sind, um die Insel zu erkunden, können von Glück reden, denn ich habe
den November auch schon ganz anders, und zwar grau verhangen, feucht und
kühl erleben müssen, und die Vorstellung, dann in einem Hotelzimmer zu
sitzen, reizt nicht wirklich.
Im
Winter ist der Großteil der Restaurants und Geschäfte geschlossen, bei
schlechtem Wetter sind die Dörfer wie ausgestorben, da ein jeder sich in
seinen Vierwänden verkriecht, überall ist es klamm und kalt und nirgends
ist ein Metaxa zu bekommen, der einen durch diese graue Zeit bringt.
Aber wenn die Sonne beschlossen hat zu feiern und Tiefs wegbleiben, um
ihr freien Lauf zu geben, dann zieht die Insel ihr grün-gelb-rotes
Herbstgewand an, duftet süß nach Safrankrokussen, schmückt sich mit
eigenwillig lila leuchtenden Cyclamen, stellt ihre, derzeit wie
Christbäume verzierten Erdbeerbäume zur Schau und verteilt wild
wachsende Pilze auf ihrem Grund.
Selbst die Griechen kommen an solchen Tage vom Sofa hoch, denn immer
mehr von ihnen finden Gefallen daran, in die Wälder zu ziehen und Pilze
zu sammeln. Die Suche nach „Pefkites“ in den Kiefernwäldern ist nahezu
ein Volkssport geworden, und auch der Kaiserpilz, aus der Gattung der
Amanita, freut sich über das wachsende Interesse an seiner Art.
Die
Kastanienwälder und die anderen mit Laubbäumen bewachsenen Landstriche,
sorgen für ein abwechslungsreiches Angebot an Pilzen, was aber nur
wenige Griechen wirklich interessiert, denn im Bezug auf dieses
Nahrungsmittel sind sie ziemlich ängstlich. Z.B. kann man in der Gegend
von Agiassos mit viel Glück den Fichtensteinpilz, auch Gemeiner
Steinpilz (Boletus edulis), genannt, aufspüren, und was denken Sie,
machen die Griechen mit dieser Delikatesse? Nichts, sie trauen sich
nicht einmal ihn zu berühren, geschweige denn zu essen.
Dieses Jahr sind bei unseren Ausflügen die Körbchen nicht so voll
geworden (im Süden und in der Mitte der Insel ist es trockener
geblieben), aber an einem Fleckchen, nah bei unserem Haus (wir wohnen im
Norden), sind wir fündig geworden: Pfefferröhrlinge, Rotkappen,
Waldchampignons (brauner Egerling), knallorange Pilze unter den
Olivenbäumen, die wir jedoch namentlich noch nicht zuordnen können und
einen riesigen Hexenröhrling, der sich unter dem abgeworfenen Laub,
einer majestätische Eiche, verborgen hielt. Na, um solche leckeren
Exemplare zu finden, brauchen wir also gar nicht nach Agiássos zu
fahren, obwohl, der Kastanienwald dort ist um diese Jahreszeit so
unbeschreiblich schön, mit seinem güldenen Blattwerk, den
Sonnenstrahlen, die durch die Zweige blinzeln und dieser traumhaften
Aussicht, die man auf den Golf von Géra hat, wenn die Bäume den Ausblick
freigeben.
Dieses Jahr sind wir durchgefahren nach Karionas, und haben uns dann per
pedes auf nach Milies gemacht. Unser Weg war gepflastert mit Pilzen, die
nicht in der Natur standen, sondern abgeschnitten herumlagen. Leider
waren keine Maronenröhrlinge (Braunkappen) darunter, sondern nur
Speisepilze, die nicht von so guter geschmacklicher Qualität sind
(wahrscheinlich „Suillus bovinus = Kuhröhrling). Tja, und für den
Griechen, der vor uns, unseren Weg ging, war wohl selbst das Beste
gerade gut genug, und so schmiss er – welch ein Jammer – einen jeden
Pilz, den er aus dem Boden rupfte und für nicht gut befand, wieder
zurück in die Natur. Immer der Pilzspur folgend, liefen wir ihm wie
Hänsel und Gretel hinterher.
Nein, gefunden haben wir den Narren nicht, aber wir wollten uns ja auch
nicht verirren, und so erreichten wir, wie geplant, die nicht nur
idyllischste, sondern auch höchstgelegenste Taverne von Lesvos. Das
Plätzchen schenkt einen herrlichen Ausblick bis tief in die Türkei und
auf die Gegend rund um den Olympos. Das Restaurant von Karionas
überraschte uns an diesem Mittag – wie passend - mit einer
traditionellen „manitaropita“, einer Art Pilz-Quiche.
In
der Zeitung fand ich in dieser Woche den Aufruf eines Vereins für
Pilzfreunde auf Lesvos (ja, diesen fast das ganze Jahr über aktiven
Verein, der sich auf die Suche nach besonderen Pilzarten spezialisiert
hat, gibt es wirklich), der die Bitte zum Inhalt hatte, den Waldboden
bei der Pilzsuche nicht zu zerstören. Ja, das muss man sich vorstellen,
dass es wirklich Leute gibt, die mit einer Harke die Erde rücksichtslos
großflächig aufwühlen, um die unter Tannennadeln verborgenen „Pefkites“
aufzuspüren und säckeweise nachhause zu tragen. Die Pilzfreunde bitten
darum, vorsichtig mit dem Messer nur das zu ernten, was man auch essen
wird, und den Wald in dem Zustand zurückzulassen, wie man ihn
vorgefunden hat. Tja, jetzt machen sich die Griechen endlich auf in die
Natur, und nun ist es auch wieder nicht gut.
Auf
einem wunderschönen Spaziergang von Chidira über Pteroúnta nach Vatoússa,
als auch bei einer Rundwanderung bei Polichnitos haben wir keine Pilze
gefunden, aber wir haben ja jetzt gelernt: „Wozu in die Ferne schweifen,
wenn das Gute liegt so nah...“ also, einfach einmal ums Eck und man
steht im Pilzparadies, und außerdem, auf Lesvos kann man ja nie wissen,
denn die Natur bleibt ein Quell von überaus angenehmen Überraschungen...
Copyright ©Julie Smit 2009 |