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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Pétra
8.April 2009 - Das Messie-Dorf Pétra
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
In
einer Ebene, nah bei Molyvos gelegen, liegt das kleine Dorf Pétra,
angesiedelt um einen riesigen Monolithen. Auf diesem Felsen befindet
sich das bekannteste Bauwerk des Dorfes, die Marienkirche (die „Panagia
Glykofiloúsa“). Am 15.8. eines jeden Jahres erklimmen Tausende von
Pilgern die 114 Treppen, um der Gottesmutter Maria ihre Ehre zu
erweisen.
Geschichtlich ist bzgl. Pétra nicht allzu viel zu sagen. Nach der Sage,
ankerte Achilles in der Bucht auf dem Weg nach Troja, und ansonsten ist
nur von schrecklichen Kriegswirren zu berichten: 1462 Einnahme durch die
Türken, 1676 überfiel der französische Pirat Hugo de Crevelier mit 800
Mann Pétra, plünderte es und nahm 500 junge Männer und Frauen mit sich.
1865 waren es türkische Truppen, die dem Dorf seine Kostbarkeiten
raubten, und kurz vor seiner Befreiung von der Türkenherrschaft im Jahre
1912, wurde Pétra erneut überfallen, geplündert und in Brand gesteckt.
Trotz alledem hat Pétra es geschafft, dass aus dem ehemaligen
Fischerdorf ein schöner beliebter Ort wurde, dessen Haupteinnahmequelle
der Tourismus ist. Tja, und nun ist es also das Jahr 2009, das einen
weiteren katastrophalen Meilenstein in seiner Geschichte darstellt. Es
ist nicht nur die weltweite Krise, die Pétra mit dem Untergang bedroht,
sondern vor allem die inkompetente Gemeindeverwaltung, die sich
unorganisiert und ohne Visionen präsentiert und durch Fehlentscheidungen
Pétra in einen hässlichen Ort des Chaos verwandelt hat.
Bislang war für mich persönlich Argenos (Gemeinde Molyvos) das
unansehnlichste Dorf der Insel. Die Hauptursache dafür - ganz ohne
Zweifel - der direkt am Ortseingang liegende Baustoffhandel,
Visitenkarte und Empfangskomitee des Dorfes. (Bemerken muss ich an
dieser Stelle, dass inzwischen diese Unternehmen für Baustoffmaschinen
all überall wie Pilze aus der Erde schießen und die Landschaft der Insel
verschandeln). Nun scheint es aber wirklich so, dass Pétra Argenos an
Hässlichkeit übertrumpft und es derzeit aussieht, als habe gerade eben
Hugo Crevelier den Ort besucht und dessen ganze Schönheit und Liebreiz
als Beute mitgenommen...
Schon zwei Winter lang sind die Bewohner und die Besucher von der
Willkür der Straßenbauer und sonstigen Spezialisten abhängig, die seit
dieser Zeit die Straßen aufgerissen haben, um Rohre, Kabel und Sonstiges
zu verlegen. Es begann an einem schönen Wintertag, als sie mit dieser
Arbeit an der Hauptstraße von Kaloni nach Molyvos anfingen. Diese
Strecke hat sich nie wieder von der Behandlung erholt und ist nach
nunmehr 2 Jahren mit all ihren Löchern eine Gefahrenzone für alle Auto-
und Motorradfahrer. Wenn ein Auto darauf Slalom oder direkt auf der
falschen Seite fährt, ist nicht der Fahrer betrunken, sondern weicht aus
Sorge um sein Gefährt Hindernissen und Asphaltschäden aus. Tja, und in
diesem Winter haben die „Helden des Straßenbaus“ die kleinen Gassen und
das Teilstück der Hauptstraße am örtlichen Strand in Angriff genommen,
was bedeutet, dass auch die Fußgänger seitdem ihr Leben riskierten. Da
ist doch etwas, worauf die Gemeinde stolz sein kann: Den Hauptabschnitt
vor dem Strand ziert nun ein herrliches Kopfsteinpflaster.
Pétra liegt sehr niedrig, was bedeutet, dass in der nassen stürmischen
Winterzeit Straßen, Gärten und Ländereien immer wieder überflutet
werden. Vielleicht denken die Dorfbewohner ja, lass all den angespülten
Unrat einfach liegen, dann wird unser Land sich auf die Dauer etwas
erheben. Fazit ist, dass dieser ansonsten mit Wildblumen bewachsene Ort
nun mit Schutt und Trümmern dekoriert ist. Glauben die Menschen
wirklich, dass die Touristen begeistert davon sein werden, den Müll, der
ja schon manch einen Landstrich verschandelte und nun auch die Dorfmitte
erreicht hat, zu betrachten?
Die
Reiseveranstalter in Molyvos haben die Möglichkeit, den Touristen die
Müllkippe in Eftalou zu verheimlichen und sie daran vorbei zu führen. In
Pétra sieht das anders aus. Man m u s s da durch, und mir tun die
Menschen schon leid, die ein gebuchtes Feriendomizil inmitten von Unrat
und Dreck erwartet.
Sie
meinen, dass war es an Schrecklichem bzgl. Pétra? Nein, ich muss Sie
enttäuschen, es geht weiter: Die Touristen werden nicht nur in ein
dreckiges sondern auch in ein schier verlassenes Dorf kommen. Einige
Geschäfte und Cafés werden ihre Türen in dieser Saison nicht geöffnet
haben. Nehmen wir nur „Tsalikis“ (davon später mehr) und die „Cantina“
am Hauptplatz, 2 Beach-Bars am Strand und ein Café in Hafennähe. Die
Gründe sind unterschiedlich: Manch einer kann seit Jahren die Miete oder
die Stromrechnung nicht bezahlen, andere haben keine Lizenz bekommen,
und der nächste musste wegen Lärmbelästigung schließen.
Für
manch Besucher sind diese Nachrichten aber gar nicht so schlecht, denn
ihnen war es zu laut geworden um das „Baywatch“, kamen sie doch mit der
Sehnsucht auf die Insel, Beschaulichkeit und Ruhe zu finden. Ich jedoch
habe in diesem Trend die Chance gesehen, Pétra zu einer attraktiven
modernen kleinen Ortschaft für junge Menschen am Meer zu machen. Und was
ist jetzt? Der Strand ist übersät mit Müll und passt zum Rest des
Dorfes.
Eine gute Aussicht über das Messie-Dorf bietet das vom Dorfplatz
umgesiedelte Café „Tsalikis“. Es liegt neben der seit Jahren
geschlossenen Open-Air Disco, oberhalb der Straße nach Molyvos. In der
Nacht erstrahlt es in einem solchen Laternenglanz, dass man es für ein
neu entstandenes Dörflein halten kann, und ich erfand deshalb schnell
den Namen „Agios Tsalikis“. Das Café ist bekannt für die besten Kuchen
und Torten der Insel Lesvos aber auch dafür, dass der Genuss jeweils mit
einem horrenden Preis verbunden ist, was auch das dazu bestellte Kaffee
oder andere Getränke betrifft. Aber für dieses Geld bekommen Sie etwas
geboten: Sie erwartet ein herrlicher einmaliger Blick über die Bucht von
Pétra und die bergige Küste nach Westen hin, und wenn Sie ein Fernglas
dabei haben, können Sie auch jeden einzelnen Müllhaufen in Pétra
detailliert betrachten...
Copyright ©Julie Smit 2009 |