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AUS
DEM DSCHUNGEL
Ein ganz wilder und sehr falscher Krokus
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Seit ich hier auf Lesvos wohne und der bunte Herbst mit strahlendem
Sonnenschein standesgemäß Einzug hält, voilà, dann habe ich das
herrlichste Wanderwetter, und auf all meinen Wegen kommen mir Krokusse
entgegen. In violett, zartlila, mauve, bläulich und weiß, blitzen sie
wie Edelsteine aus dem satten grünen Grund hervor. Bereitwillig öffnen
sie ihr Innerstes: Ein Kreis mit gelben Staubblättern und drei langen
roten Narbenfäden. Zu finden sind die Krokusse um diese Jahreszeit nicht
nur hoch oben in den südlichen Bergen, sondern auch im Norden, Westen,
in der Inselmitte, ja, selbst hier in Eftalou stehen sie im November an
einem nördlichen Hang in bezaubernder Blüte. Tja, und alle Jahre wieder
wühle ich mich durch Berge von Pflanzenbüchern und unzähligen
Internetseiten, um sie zu determinieren, und - wie jedes Jahr - schließe
ich diese enttäuscht wieder, da ich zwar zig Krokusse beschrieben und
abgebildet finde, die denen, die ich hier sehe, ähnlich sind, aber wie
gesagt, eben nur ähnlich.
Bei
meinen Recherchen stoße ich immer wieder auf den „Falschen/wilden
Safrankrokus“ (Crocus cartwrightianus Herb.) und den „Echten
Safrankrokus“ (Crocus sativus L.), was aber nicht sein kann, denn die
wachsen – so behaupten die Experten - nicht hier auf Lesvos, sondern auf
Kreta. Ich denke, es gibt diese Krokusse auch rund um Kozani
(Nordgriechenland, Westmakedonien), denn ein jedes Jahr schickt uns ein
Freund, der dort wohnt, ein Päckchen Safran, geerntet in seiner
Umgebung.
Tja, und welche herbstblühenden Krokusse kommen dann „offiziell“ auf
Lesvos vor? Laut einem österreichischen Botaniker ist das der „Crocus
biflorus mill.“ (Zweiblütiger Krokus), der zwar weiße oder fliederblaue
Blüten und eine orangefarbene 3-ästige Narbe hat, aber auch – was „mein“
Krokus schon mal gar nicht hat - einen weißen Hals und dunkle Streifen,
die sich durch die äußeren Blütenblätter ziehen. Ein griechischer
Pflanzenkundler erwähnt in seinen Niederschriften bzgl. der „Ägäischen
Inseln“ den „Crocus Boryi Gay“, aber der ist weiß – auch die Staubfäden
-, Hals und Griffel sind gelb, den „Crocus laevigatus B.+Ch“, bei dem
die Staubfäden ebenfalls weiß sind, der Stil aufgefächert ist und
violette Linien die äußeren Blütenblätter zieren, und dann noch den „Crocus
tournefortii Gay“, der zwar keine Linien hat, aber dafür weiße
Staubbeutel und Pollen. Tja, Sie sehen, das Leben eines Krokologen (oder
heißt es Krokolist?) ist nicht einfach und fast so schwer, wie das eines
Orchideeologen, aber darüber im Frühjahr mehr.
Nun, es reicht, ich sollte „meinen“ Krokus jetzt einfach unter „Crocus
sieberi ssp.atticus Gay“ abspeichern – auch wenn dies ein
Frühlingsblüher ist, aber das Foto kommt „meinem“ Krokus doch ziemlich
nah – und endlich wieder zur Tagesordnung übergehen... Ne,
wahrscheinlich dieses Jahr nicht mehr, denn ich will unbedingt wissen,
ob es jetzt der „Wilde oder Falsche Safrankrokus“ ist, oder nicht. Sind
denn all die Botaniker und Krokologen noch nie im November auf Lesvos
gewesen? Eigentlich unvorstellbar, denn als wir nach Eftalou gezogen
sind, erzählte uns eine Bäuerin, dass früher die Felder vor unserem
Haus, die sich bis zum Meer hinziehen, über und über mit Safrankrokussen
bedeckt gewesen sein sollen, aber jedermann wild nach Safran war und die
Blüten abgepflückt habe, seien diese nach und nach verschwunden. Auch
eine chortakundige Eftalou—Bewohnerin, die uns auf einer unserer
Herbstwanderungen entgegenlief, na, eigentlich lief sie nicht, sondern
bewegte sich in gebückter Haltung vorwärts, um Chorta* und Pilze nicht
zu übersehen und gierig in eine Plastiktüte zu stopfen (und in einer
Menge, die sie und ihre gesamte Familie 2 Tage lang satt macht),
beobachteten wir, wie sie – ohne auch nur eine Sekunde zu zögern –
Krokusse ausriss und in ihre Tüte steckte. Wir waren sehr überrascht
und, ehrlich gesagt, auch ein wenig peinlich berührt darüber, dass man,
wenn es schon im sonst so blumenlosen November so prächtig blühende
Pflänzchen in der Natur gibt, diese einfach beschlagnahmt. Verwirrt
fragten wir nach Sinn und Zweck und bekamen als Antwort, dass es um den
Safran ginge und darum, dass die Blüten einen herrlichen Duft im Hause
verströmen würden. Wir konnten dieser Erklärung nur ein hilfloses „Oh“
aus unseren geöffneten Mündern entgegensetzen.
Es
gibt unzählige Natur- und Pflanzenführer (Orchideen eingeschlossen) von
Rhodos, Kreta, den Dodekanes, Euböa, der Peloponnes und selbst von
unserem türkischen Nachbarn, und von Lesvos? So gut wie nix – Lesvos ist
und bleibt wohl ein bisschen ein vergessenes Eiland (was vielleicht ja
auch gar nicht mal so schlecht ist). Allein Aufzeichnungen und Bücher
über die Vogelkunde* liegen hier in den Geschäften aus. Ein
niederländischer Ornithologe geht wahrhaftig soweit, Lesvos als total
uninteressant darzustellen, was die Natur betrifft, da die Insel ja
schon mehr als tausend Jahre bewohnt sei. Nun ja, die so genannten
Birdwatcher kommen nur in den Monaten April/Mai auf die Insel, haben die
ganze Zeit entweder ein Fernglas oder eine Kamera mit riesigem Objektiv
vor der Nase, richten diese Geräte nur dahin, wo das Objekt ihrer
Begierde sitzt (in Felsen oder in Sumpfgebieten) und sehen dadurch doch
wohl nur ein Stückwerk von Lesvos.
Trotzdem, auch ich bin auf das, was das Internet hergibt angewiesen, und
was lehrt es mich?:
Der
„ Crocus cartwrightianus Herb“ variiert stark in seinen Farben und hat
denselben Safrangeruch, wie der echte Safrankrokus, der „Crocus sativus
L.“. Dieser Krokus wurde einst als Safranersatz geerntet. Er wird
„Wilder Safran“ genannt, da er nicht angebaut werden muss, um zu
überleben. Der „Echte Safrankrokus“, also der „Crocus sativus L.“, ist
unfruchtbar und kann nur vegetativ durch Knollenteilung vermehrt werden.
Der Wilde oder Falsche Safrankrokus dagegen ist ein starker armer
Teufel, der selbst Temperaturen von unter Null aushält und jedes Jahr
wieder herauskommt, um seine Farbenpracht zu präsentieren.
Weiter: Sehr unterschiedlich in Farbe und Kennzeichnung, hat aber
eindeutig geäderte Blütenblätter. Die Blätter sind während der (Herbst-)Blüte
stets vorhanden. Die dreiteiligen langen hellroten Fäden, können als
Safran geerntet werden. Es wird vermutet, dass der „Crocus sativus“,
eine Art des „Crocus cartwrightianus“ ist, und, so wie der „Crocus
tournefortii“ nachts geöffnet bleibt, um sich von Nachtfaltern und
Motten bestäuben zu lassen.
Also, wenn Sie zufällig in Eftalou oder Molyvos wohnen und heute, wenn
es dunkel ist, ein seltsames Leuchten rund um den Lepetimnos entdecken,
seien Sie versichert, das sind keine Flüchtlinge, sondern das bin nur
ich, der mit einer Taschenlampe umherwandert. In der nächsten Woche
lesen Sie dann: a) dass ich mit gebrochenem Bein und gequetschten Rippen
im Krankenhaus liege, b) dass der bewusste Krokus von einem Schaf oder
einer Ziege genüsslich verspeist wurde, c) dass es sich in der Tat um
einen ganz wilden und sehr falschen Krokus handelt.
Jan van Lent/23. November 2009
*Chorta
oder Xorta: siehe frühere Berichte
*Richard Brooks „Birding on the Greek Island of Lesvos“ , Ausgabe 1998
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