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BOULEVARD-NEWS LESVOS
Vor dem Unwetter
3.Oktober 2014 – Über Wiederkehrende und Erholungssuchende
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Die Insel Lesvos ist lange unverändert sie selbst
geblieben, bei den Besuchern jedoch vollzieht sich ein Wandel, wobei
sich die Frage stellt, welchen Einfluss dies auf das Eiland, seine
Bewohner und die Stamm-Touristen („repeater“), die Jahr für Jahr
wiederkehren, haben wird.
Ich kenne keine Insel, die Jahr für Jahr so viele
„Wiederholungstäter“ hat. Manche Gäste kommen zwei- oder dreimal im Jahr
und das bereits seit 10 oder 20 Jahren, wenn nicht gar noch länger.
Vielleicht kann man diese Urlauber dem ethnischen Tourismus zuordnen,
bei dem der Besuch traditioneller Dörfer und der Kontakt zu den
Einheimischen von zentraler Bedeutung ist. „Ich bin wieder Zuhause!“
rufen sie mit Tränen in den Augen aus, wenn der Hausherr ihres
gebuchten Feriendomizils sie bei der Ankunft mit einer Umarmung in
Empfang nimmt. Die Vermieter auf Lesvos haben die besondere Gabe, Gästen
mit ihrer Herzlichkeit das Gefühl zu geben, zu ihrer Familie zu gehören,
z. B. damit, dass sie diese mit selbstgemachten Speisen, wie
Spanakopita, verwöhnen oder ihnen frische Tomaten, Feigen, etc. aus dem
Garten kredenzen. Tja, und am Abreisetag heißt es dann „Wir sehen uns
nächstes Jahr wieder!“
Anziehungspunkt für „Öko-Touristen“ ist Lesvos ebenso.
Weitläufige unberührte Natur und somit Grund genug regelmäßig wieder zu
kommen, gibt es genug. In diesem Sommer ist ein Pärchen in einem
abgelegenen Gebiet so vom Wege abgekommen, dass die Polizei sie erst
nach langer Suche von einem Hügel im „Tal der Mühlen“ auflesen konnte.
Ihr Wasservorrat war erschöpft, aber sie hatten glücklicherweise
Handy-Empfang.
Für Vogelbeobachter ist unsere Insel, wie man weiß, ein
Eldorado, und paradiesisch stellt sich auch die hiesige Flora dar:
Unzähliger Oleander, gelber Rhododendron, die vielen Orchideenarten.
Dieser Überfluss an Schönheit lässt keine Langeweile aufkommen. Vor
kurzem ist in der Wildnis bei Agiassos wieder eine neue Orchidee
entdeckt worden, die man sich im nächsten Urlaub unbedingt ansehen
sollte.
Auch Touristen mit kulturellem und historischem
Interesse, sind auf Lesvos richtig. Es ist ja alles da: Museen, Klöster,
alte Handwerksbetriebe, etc. und es gibt sogar einen versteinerten Wald!
Aber, lassen Sie uns ehrlich sein: Hat man eine solche Stätte der Kultur
ein- oder zweimal besucht, ist die Wissbegierde gestillt und das
Interesse befriedigt. Kaum jemand kommt dann noch mal dorthin.
In der Typologie der Touristen gibt es noch eine andere
Spezies: Den Erholungssuchenden. Dieser kommt für Sonne, Meer, Strand
und Sex! Tja, und da seit diesem Jahr auch „Billigflieger“ Lesvos
ansteuern, scheint diese Besucherart sich rasend zu vermehren. Noch sind
die Hotelbesitzer und Strandclub-Betreiber glücklich mit ihnen,
verbringen sie doch den lieben langen Tag konsumierend am Pool oder
Meer, was Umsatz bedeutet, und das wöchentlich stattfindende Barbecue
im Hotel trägt dazu bei, dass der Rubel rollt. Diese Touristen
spazieren äußerst selten irgendwo hin, und machen sie sich schon mal auf
den Weg, dann sicherlich nicht in den versteinerten Wald, sondern eher
zum Basar in die Türkei, von dem sie aber dann bestimmt enttäuscht
zurückkehren, denn Ayvalik oder Dikili sind nicht mit dem lebhaften
Bodrum zu vergleichen.
Aprospos enttäuschend, enttäuschend ist für diese
Erholungssuchenden auch eine Menge hier auf Lesvos. Sie haben es aber
auch nicht einfach: So müssen sie gleich nach dem Verlassen des Fliegers
feststellen, dass sie auf einer authentischen griechischen Insel
gelandet sind, die Fahrt mit dem Transferbus zum Urlaubsort mindestens
1,5 Stunden dauert, der Fahrer nur griechisch spricht. Dann stellt sich
heraus, dass das sog. „Studio“ nur aus einem Raum besteht, im Bad der
Duschvorhang fehlt, der Duschkopf nicht an der Stange zu befestigen ist
und nicht immer warmes Wasser spendet, an der Küchenzeile Handtuch und
Spülmittel nicht zur Ausstattung gehören und Wifi nur an der Rezeption
funktioniert. Die Beschwerden gehen weiter: Vor dem Bett laufen 5
Ameisen, an der Wand klebt eine riesige Spinne, die Matratzen sind zu
hart oder zu weich, die Decken zu kurz. Die Schafe auf der Wiese vor dem
Hotel blöken zu nachtschlafender Zeit und die Glocken, die sie um den
Hals tragen, bimmeln zu laut. Dann lauern auch noch Seeigel im Meer und
der Strand ist voller Steine und Algen. Das Fass zum Überlaufen bringt
die Tatsache, dass es Lidl nur in Mytilini und Mc Donalds überhaupt
nicht gibt. Ob es auch in Sachen Sex etwas zu beanstanden gibt? Ich weiß
es nicht, aber den kann man ja überall bekommen und somit bestimmt auch
auf Lesvos.
Ich habe so eine Ahnung, dass von diesen Touristen ein
großer Teil nicht wiederkommen wird, trotzdem wird ihre Zahl sich nicht
verringern, denn auch wenn sie Lesvos nur einmal besuchen, sie kommen in
Scharen. Die Billigfluggesellschaften werden im nächsten Jahr ihre Flüge
nach Mytilini erhöhen, und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis
Investoren und Unternehmer mit dem Bau von größeren Hotels von diesem
Touristenaufkommen profitieren wollen. Werden die Stammgäste dann
weiterhin jahrelang mehrmals jährlich nach Lesvos kommen? Ich denke
nicht, und das ist ein Jammer, denn sie haben es ermöglicht, dass die
Insel lange das bleiben konnte, was sie heut noch ist: Eine
ursprüngliche griechische Insel mit einer außergewöhnlich freundlichen
Bevölkerung und einer wunderschönen Natur.
©pip
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