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BOULEVARD-NEWS LESVOS
Stadtmauern von Alt-Antissa
7.Februar 2017 - Die Erde bebt
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Unruhig sitze ich da, bange vor dem nächsten Einschlag:
Ein weiteres Beben der Erde, das wie ein schwerbeladener LKW an unserem
Haus vorbeiziehen und Möbel, Gläser, Lampen, Gemälde so kräftig und
geräuschvoll durchschütteln wird, dass einem Angst und Bange wird. Seit
2 Tagen wird Lesvos von einer Erdbebenwelle heimgesucht, deren
heftigster Ausläufer eine Stärke von 5,2 auf der Richterskala anzeigte.
In Europa ist Griechenland das anfälligste Land für
dieses Naturereignis, auf der Weltrangliste steht es damit auf dem
sechsten Platz. Lesvos sind die Eskapaden der Erdkruste unter sich nicht
fremd: Die nordanatolische Verwerfung (eine Transformstörung, die die
Anatolische Erdplatte nach Norden gegen die Eurasische Platte begrenzt)
verläuft an der Nordküste der Insel. Es sind tektonische Platten die
nun aneinanderscheuern, um eine bessere Lage zu bekommen und zukünftig
wieder weiterschlummern zu können. Das Gefecht zwischen der Europäischen
und Eurasischen Platte wird gerade gegenüber von Molyvos in der Türkei
ausgetragen und das nicht weit entfernt von dem legendären Troja, das
einst ja nicht allein durch Kriege sondern auch durch schwere
Erderschütterungen vernichtet wurde. Man könnte fast denken, dass
Erdogan hinter diesen Beben steckt, um sich so ein Stückchen
Griechenland einzuheimsen.
Durch diese immer wiederkehrende Naturgewalt, war bereits
jedes Dörfchen und Städtchen auf Lesvos schon einmal gezwungen, seine
zerstörten Häuser wieder aufzubauen. Das antike Städtchen Pyrra wurde so
231 vor Christus von der Karte gefegt, da es von den Fluten des Golfs
von Kalloni verschlungen wurde. Das Wasser dort ist jedoch nun flach und
brackig, so dass man seine Hand nicht vor Augen sieht und das Gewesene
für immer verborgen bleibt.
Auch das Inselchen an der Küste, worauf sich einst das
antike Antissa erhob, wurde 167 vor Christus teils zu einem
Seemannsgrab. Nur Stücke der Stadtmauer und einige Häuser haben es
geschafft, den Kopf über Wasser zu halten. Mit ein bisschen Phantasie
kann man sich aber doch noch eine Vorstellung von diesem uralten
Städtchen machen. Jedoch sind die Häuser und Mauern in Schutt dermaßen
überwuchert, dass sie ein gefährliches Schlangennest geworden sind, und
ich wage mich nicht mehr durch das Stadttor der heut Alt-Antissa
genannten Ruinenstadt.
Im 19. Jahrhundert wurden die Dörfer Lisvori, Chidra und
Agia Paraskevi durch drei verschiedene Erdbeben verwüstet. Nur 2 der
70-80 Gebäude in Lisvori überstanden den Angriff der wütenden Erde, in
Agia Paraskevi waren 500 Tote zu beklagen und in Chidira 30. Trotz
dieser so großen Verluste, entschloss man sich zum Wiederaufbau der
Städtchen.
Auch Molyvos, der Ort, in dem die Häuser fest verankert
in den Fels errichtet sind, musste seinen Preis an die Naturgewalten
bezahlen, als es von 2 Erdbeben hintereinander in den Jahren 1865 und
1867 getroffen wurde. Das Letzte, mit 25 Beben in der Nacht vom 23. auf
den 24. Februar erschütterte das gesamte Eiland in seinen Grundfesten.
Auch Mytilni wurde, das 2. Mal in der Geschichte, von der Katastrophe
ereilt: 2.248 Häuser wurden komplett zerstört (1383 wurde Mytilini total
vernichtet, ein Großteil der Bevölkerung überlebte nicht, so auch der
ehemalige Herrscher, Francesco Gattelusi, seine Frau und seine Kinder).
Laut einem Augenzeugen, kochte das Wasser im Hafen schäumend hoch,
Fische wurden später in den Booten gefunden, noch Tage danach spendeten
Brunnen nur salziges Wasser und eine metertiefe Erdspalte verlief vom
Golf von Kalloni nach Aga Paraskevi. 550 Menschen verloren in dieser
Nacht ihr Leben, Napi war dem Erdboden gleich und Afalonas brannte nach
dem Beben bis auf die Grundmauern ab.
Obwohl ein Wert von 5.2 auf der Richterskala als ein
„schweres“ Erdbeben eingestuft wird, bin ich gewiss, dass die Insulaner
ihre Lektion aus der Geschichte gelernt haben und die Häuser in der
heutigen Zeit viel sicherer gebaut sind, aber trotzdem haben die
Bewohner von Molyvos nicht allzu viel Vertrauen in ihre Heimstätten: Als
das Beben Vorgestern die Stärke von 5,2 erreichte, schossen viele von
ihnen pfeilschnell raus in die Gassen und die Kinder wurden in schnellst
möglichem Tempo aus den Klassen auf den Schulhof gescheucht.
Nun fällt der Regen wie aus Eimern auf die Insel und der
wütende Zeus fegt mit grellen Blitzen durch den Himmel. Mit der Wärme
ist es vorbei, und die Gradzahlen sinken rapide.
Ohrenbetäubende Donnerschläge lassen Türen und Fenster in
ihren Rahmen zittern. Man könnte meinen, dass Zeus sich mit Gaia, der
göttlichen Erdenmutter, verbündet hat, um große Verwüstung über die Welt
zu bringen. Himmel und Erde sind verärgert, was ich verstehe, aber bitte
lass die tektonischen Platten mit ihrem Waffengerassel aufhören. Es gibt
schon genug Zeltlager auf der Insel.
Copyright Julie Smit 2017
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