Molyvos (Mithimna)

Lesvos

Home

Home
Lesvos-News 2016
News_2017.htm

16.Mai 2016
20.März 2016
21.Februar 2016
27.Januar 2016
10.Januar 2016
Nobelpreis Lesvos

BOULEVARD-NEWS LESVOS

 

Mandelbaum

 

21.Februar 2016 - Mandelexplosion

Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski

 

Letzte Woche machte es den Anschein, als hätte der Sommer auf Lesvos Einzug gehalten. Die Sonne jagte sogar diejenigen, die ihr Mahl draußen einnahmen, in den Schatten und die Terrassen wurden zu Umkleideräumen. Es war schon ein recht amüsantes Schauspiel, dieser Mix von Winter- und Sommerkleidung: Da ließ jemand einen brutal kurzen Rock die nackten Beine umspielen, die  in matschbehafteten gefütterten Gummistiefeln steckten, dort zeigte jemand barfuss in einem  dicken ausgebeulten Pullover seine milchweißen Beine und ein anderer hatte sich für Shorts und einem Mini-Hemdchen entschieden, worüber er jedoch vorsichtshalber eine dicke Winterjacke drapierte. Wären wir nicht mit so vielen freiwilligen internationalen Helfern auf der Insel gesegnet, hätten wir auf diese erheiternde außergewöhnliche Modenschau verzichten müssen, denn die Einheimischen zogen nur ihre T-Shirts aus dem Schrank.

 

Aber es waren nicht nur diese Metamorphosen zu entdecken, denn überall in der Landschaft explodierten rosa Wolken: Die Mandelbäume – die ersten Blütenträger im Jahr – gaben ihr bestes, dem berühmten Hanami Matsuri (Kirschblütenfest in Japan) den Rang abzulaufen. Es gibt Jahre, in denen trübes Winterwetter diese grandiose Farbenpracht schier unsichtbar sein lässt und man sich nur in seinen Erinnerungen daran erfreuen kann, aber in diesem Jahr sind die Bäume über und über voll mit Blüten, dass man einfach nicht daran vorbeisehen kann.

 

Jeder Frühling überrascht mich immer wieder mit der Vielzahl an Mandelbäumen, die es hier auf Lesvos gibt. Rund um Molyvos kannman sie gar nicht zählen, aber auch die Dörfer im Inselsüden, wie Vasilika, Polichnitos und Vrisa, werden von einem Blütenmeer überschüttet. Angestrahlt von dem Licht der Sommersonne bieten diese Dörfer ein solch unfassbar schönes malerisches Bild, das einen fast vergessen lässt, in was für einer hässlichen Welt wir derzeit leben.

 

Ich frage mich, ob wohl jeder der Bäume hier abgeerntet wird und was mit all diesen Nüssen (eigentlich gehören die Mandeln zu den Steinfrüchten) geschieht. Ich weiß schon, dass man auf Lesvos Marzipan draus fertigt, aber es gibt doch hier so ein Überangebot, dass der chinesische Konzeptkünstler Ai Weiwei  einen jeden Besucher der internationalen Filmfestspiele in Berlin mit einer Rettungsweste aus dieser süßen Masse hätte überraschen können.

 

Die meisten Mandeln kommen aus Kalifornien, einem Staat der unter einer katastrophalen Dürre leidet, und so werden es mehr und mehr Proteste gegen diesen Anbau, der Unmengen an Wasser verschwendet (Anm. der Übersetzerin: Lt. Internet 3,8 Liter Wasser für 1 Mandel!)

Ursprünglich kommt diese Nuss aus dem wasserreichen Mittelmeergebiet. So bilden dann auch mediterrane Länder den Rest der Top 10 der Mandel produzierenden Staaten: Spanien und Italien voran, gefolgt von Iran, Libanon, Pakistan, Syrien, Griechenland, Marokko und der Türkei.

 

Mit so vielen Menschen auf der Flucht, diesen unzähligen vernichtenden Granaten und Bomben, frage ich mich, ob Syrien wirklich noch zu den Top 10 gehört. Laut der „Syria Times“ gibt es in dem Gebiet von Sweiri (südlich von Damaskus) noch 606.000 Bäume, die einen Ertrag von 700 Tonnen Mandeln erbringen könnten, aber wenn ich auf die Kriegsgebietskarte schaue, wird mir klar, dass dort die Regierungstruppen gegen die Rebellen erbittert kämpfen. Ach, würden sie doch all die Munition gegen Mandeln tauschen…

 

Im Gegensatz zu allen anderen Ländern, in denen die Mandeln im September gepflückt werden, beginnt die Ernte im Mittleren Osten bereits im April, dann, wenn die erste grüne weiche Fruchtform sich gebildet hat. Sie kommen dann einige Stunden in Salzwasser, damit die Schale noch zarter wird, die Bitterstoffe entweichen und aus der unreifen Mandel ein beliebter Snack wird. Man isst sie mit der Schale, beisst man darauf, erlebt man eine Geschmacksexplosion: Leichte Bitterkeit, ein Hauch von Süße und weitere Aromen folgen. Eine weitere Überraschung bringt zum Abschluss der geleeartige Inhalt des Steins im Inneren. In Griechenland nennt man diese grünen Mandeln „tsagala“, aber diese herrliche Delikatesse ist heutzutage leider nahezu in Vergessenheit geraten. Nur noch selten serviert man ein Wildgemüsegericht, das mit Frühjahrsmandeln gespickt ist.

 

Inzwischen bin ich eine recht bequeme Köchin geworden. War ich früher enthusiastisch  stundenlang damit beschäftigt, Mandel- und Pinienkerne zu zerhämmern, kaufe ich sie nun küchenfertig geschält. Ich liebe Mandeln, habe  jedes Jahr alle Bäume in der Nachbarschaft abgeerntet und mir alle Jahre wieder vorgenommen die langen Winterabende mit Schalenknacken zu verbringen, damit ich die Früchte später rösten, in Saucen verarbeiten oder in Marzipan verwandeln kann. In meiner Vorratskammer hängen säckeweise Kastanien und Walnüsse wartend auf dasselbe Los, das Problem ist aber, dass der Winter – und auch der Sommer – schon vergangen sind, bis mir einfällt, dass da doch was war, was ich unbedingt erledigen wollte…

Tja, und so werde ich mich dieses Jahr  an der herrlichen Mandelblüte erfreuen, darauf warten, dass die Früchte Form angenommen haben und meine ersten Experimente mit den unreifen Mandeln starten. Leider habe ich keinen “Syrischen Supper Club“ in der Nachbarschaft.

 

Viele der hier ankommenden Flüchtlinge kommen aus den „Mandelländern“, wo diese Frucht die Basis für die leckersten Gerichte bildet. Ich weiß, dass die Flüchtlinge der Auffassung sind, dass es in Griechenland, und schon gar nicht auf einer Insel wie Lesvos, für sie keine Zukunft gibt. Ist denn da kein Koch aus dem Mittleren Osten, der hier Asyl beantragen und ein Restaurant eröffnen möchte? Er wird die meisten Zutaten für seine heimische Küche im Überfluss finden, und ich verspreche hoch und heilig, dass ich mindestens einmal in der Woche an seiner Tafel sitzen werde, vor allem, wenn es Mandel-Pfannkuchen gibt.