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BOULEVARD-NEWS LESVOS
Mandelbaum
21.Februar
2016 - Mandelexplosion
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Letzte Woche machte es den Anschein, als hätte der Sommer auf Lesvos
Einzug gehalten. Die Sonne jagte sogar diejenigen, die ihr Mahl draußen
einnahmen, in den Schatten und die Terrassen wurden zu Umkleideräumen.
Es war schon ein recht amüsantes Schauspiel, dieser Mix von Winter- und
Sommerkleidung: Da ließ jemand einen brutal kurzen Rock die nackten
Beine umspielen, die in matschbehafteten gefütterten Gummistiefeln
steckten, dort zeigte jemand barfuss in einem dicken ausgebeulten
Pullover seine milchweißen Beine und ein anderer hatte sich für Shorts
und einem Mini-Hemdchen entschieden, worüber er jedoch vorsichtshalber
eine dicke Winterjacke drapierte. Wären wir nicht mit so vielen
freiwilligen internationalen Helfern auf der Insel gesegnet, hätten wir
auf diese erheiternde außergewöhnliche Modenschau verzichten müssen,
denn die Einheimischen zogen nur ihre T-Shirts aus dem Schrank.
Aber
es waren nicht nur diese Metamorphosen zu entdecken, denn überall in der
Landschaft explodierten rosa Wolken: Die Mandelbäume – die ersten
Blütenträger im Jahr – gaben ihr bestes, dem berühmten
Hanami Matsuri (Kirschblütenfest in Japan) den Rang abzulaufen.
Es gibt Jahre, in denen trübes Winterwetter diese grandiose Farbenpracht
schier unsichtbar sein lässt und man sich nur in seinen Erinnerungen
daran erfreuen kann, aber in diesem Jahr sind die Bäume über und über
voll mit Blüten, dass man einfach nicht daran vorbeisehen kann.
Jeder
Frühling überrascht mich immer wieder mit der Vielzahl an Mandelbäumen,
die es hier auf Lesvos gibt. Rund um Molyvos kannman sie gar nicht
zählen, aber auch die Dörfer im Inselsüden, wie Vasilika, Polichnitos
und Vrisa, werden von einem Blütenmeer überschüttet. Angestrahlt von dem
Licht der Sommersonne bieten diese Dörfer ein solch unfassbar schönes
malerisches Bild, das einen fast vergessen lässt, in was für einer
hässlichen Welt wir derzeit leben.
Ich
frage mich, ob wohl jeder der Bäume hier abgeerntet wird und was mit all
diesen Nüssen (eigentlich gehören die Mandeln zu den Steinfrüchten)
geschieht. Ich weiß schon, dass man auf Lesvos Marzipan draus fertigt,
aber es gibt doch hier so ein Überangebot, dass der chinesische
Konzeptkünstler Ai Weiwei einen jeden Besucher der internationalen
Filmfestspiele in Berlin mit einer Rettungsweste aus dieser süßen Masse
hätte überraschen können.
Die
meisten Mandeln kommen aus Kalifornien, einem Staat der unter einer
katastrophalen Dürre leidet, und so werden es mehr und mehr Proteste
gegen diesen Anbau, der Unmengen an Wasser verschwendet (Anm. der
Übersetzerin: Lt. Internet 3,8 Liter Wasser für 1 Mandel!)
Ursprünglich kommt diese Nuss aus dem wasserreichen Mittelmeergebiet. So
bilden dann auch mediterrane Länder den Rest der Top 10 der Mandel
produzierenden Staaten: Spanien und Italien voran, gefolgt von Iran,
Libanon, Pakistan, Syrien, Griechenland, Marokko und der Türkei.
Mit
so vielen Menschen auf der Flucht, diesen unzähligen vernichtenden
Granaten und Bomben, frage ich mich, ob Syrien wirklich noch zu den Top
10 gehört. Laut der „Syria Times“ gibt es in dem Gebiet von Sweiri
(südlich von Damaskus) noch 606.000 Bäume, die einen Ertrag von 700
Tonnen Mandeln erbringen könnten, aber wenn ich auf die
Kriegsgebietskarte schaue, wird mir klar, dass dort die
Regierungstruppen gegen die Rebellen erbittert kämpfen. Ach, würden sie
doch all die Munition gegen Mandeln tauschen…
Im
Gegensatz zu allen anderen Ländern, in denen die Mandeln im September
gepflückt werden, beginnt die Ernte im Mittleren Osten bereits im April,
dann, wenn die erste grüne weiche Fruchtform sich gebildet hat. Sie
kommen dann einige Stunden in Salzwasser, damit die Schale noch zarter
wird, die Bitterstoffe entweichen und aus der unreifen Mandel ein
beliebter Snack wird. Man isst sie mit der Schale, beisst man darauf,
erlebt man eine Geschmacksexplosion: Leichte Bitterkeit, ein Hauch von
Süße und weitere Aromen folgen. Eine weitere Überraschung bringt zum
Abschluss der geleeartige Inhalt des Steins im Inneren. In Griechenland
nennt man diese grünen Mandeln „tsagala“, aber diese herrliche
Delikatesse ist heutzutage leider nahezu in Vergessenheit geraten. Nur
noch selten serviert man ein Wildgemüsegericht, das mit Frühjahrsmandeln
gespickt ist.
Inzwischen bin ich eine recht bequeme Köchin geworden. War ich früher
enthusiastisch stundenlang damit beschäftigt, Mandel- und Pinienkerne
zu zerhämmern, kaufe ich sie nun küchenfertig geschält. Ich liebe
Mandeln, habe jedes Jahr alle Bäume in der Nachbarschaft abgeerntet und
mir alle Jahre wieder vorgenommen die langen Winterabende mit
Schalenknacken zu verbringen, damit ich die Früchte später rösten, in
Saucen verarbeiten oder in Marzipan verwandeln kann. In meiner
Vorratskammer hängen säckeweise Kastanien und Walnüsse wartend auf
dasselbe Los, das Problem ist aber, dass der Winter – und auch der
Sommer – schon vergangen sind, bis mir einfällt, dass da doch was war,
was ich unbedingt erledigen wollte…
Tja,
und so werde ich mich dieses Jahr an der herrlichen Mandelblüte
erfreuen, darauf warten, dass die Früchte Form angenommen haben und
meine ersten Experimente mit den unreifen Mandeln starten. Leider habe
ich keinen
“Syrischen
Supper Club“ in der Nachbarschaft.
Viele
der hier ankommenden Flüchtlinge kommen aus den „Mandelländern“, wo
diese Frucht die Basis für die leckersten Gerichte bildet. Ich weiß,
dass die Flüchtlinge der Auffassung sind, dass es in Griechenland, und
schon gar nicht auf einer Insel wie Lesvos, für sie keine Zukunft gibt.
Ist denn da kein Koch aus dem Mittleren Osten, der hier Asyl beantragen
und ein Restaurant eröffnen möchte? Er wird die meisten Zutaten für
seine heimische Küche im Überfluss finden, und ich verspreche hoch und
heilig, dass ich mindestens einmal in der Woche an seiner Tafel sitzen
werde, vor allem, wenn es
Mandel-Pfannkuchen gibt.
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